Job Crafting: Wie «bastelt» man sich die passende Arbeit?

Von Vanessa Zeilfelder, 25. Juni 2020

Im Rahmen ihrer Arbeit am Psychologischen Institut für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik der Universität Zürich beschäftigt sich Fiorina Giuliani mit «Job Crafting». Wir wollten wissen, was sich dahinter verbirgt, was die Motivation für diese neue Art zu Arbeiten ist und wie man damit die eigene Arbeitswelt aktiv gestalten kann.

Frau Giuliani, Sie haben sich im Rahmen ihrer Tätigkeiten bei der Universität Zürich mit dem Konzept «Job Crafting» beschäftigt. Was bedeutet Job Crafting denn eigentlich?

Sogenannte Job Crafter sind Mitarbeitende, die ihre Arbeitstätigkeiten aktiv und selbstinitiiert anhand ihrer individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten (um-)gestalten, ohne dass sie dazu angewiesen oder bevollmächtigt wurden. Beispielsweise zeigte sich in einer Interviewstudie, dass Reinigungskräfte in einem Krankenhaus ihre Arbeit unterschiedlich bewerteten. Die eine Gruppe an Reinigungskräften bewertete ihre Tätigkeit eher negativ, stufte sie als gering ein und reduzierte die Interaktion mit anderen Personen auf ein Minimum. Die andere Gruppe an Reinigungskräfte hingegen – die Job Crafter - sahen ihre Arbeit in einem grösseren Zusammenhang und bewerteten diese positiv, denn durch ihren Beitrag konnten die hygienischen Bedingungen sichergestellt werden, sodass Patienten genesen würden. Dies motivierte sie dazu sich aktiv in die Stationsabläufe einzubinden und sich mit dem Stationspersonal auszutauschen. Beispielsweise wurde das Zimmer eines Koma-Patienten so umgestaltet, dass es regelmässig neue Anregungen bot.

Job Crafting umfasst drei Ebenen. Einerseits können Mitarbeitende ihre Arbeitstätigkeiten anpassen, indem sie Aufgaben annehmen oder abgeben. Andererseits können Mitarbeitende die Interpretation ihrer Tätigkeiten verändern, indem der Zweck und Nutzen der Tätigkeit anders oder neu definiert wird. Zuletzt können Arbeitsbeziehungen aufgebaut oder verändert werden. Diese umfassen die Häufigkeit und Intensität der Zusammenarbeit, Kommunikation oder Kooperation sowie die Auswahl an Personen, mit denen man in einem Projekt arbeitet. Job Crafting verfolgt meist das Ziel, eine höhere Passung zwischen der Person, der Arbeitstätigkeit und dem Unternehmen zu ermöglichen.

Nach Tims und Bakker (2010) können Mitarbeitende dabei auf drei Wege ihre Arbeit umgestalten. Erstens, indem sie soziale oder strukturelle Ressourcen erhöhen. Konkret bedeutet dies, dass sie auf sozialer Ebene Unterstützung von Kollegen oder Feedback von Führungskräften einholen oder auf struktureller Ebene ihre Autonomie erhöhen und Fertigkeiten verbessern. Zweitens können sie nach neuen Herausforderungen suchen und die Arbeitsanforderungen steigern. Neue Aufgaben können gesucht und Verantwortung übernommen werden. Drittens besteht auch die Möglichkeit, dass sie emotionale, mentale oder physische Arbeitsanforderungen reduzieren, um das private Leben nicht zu vernachlässigen. Konkret kann dies durch die Suche nach Unterstützung durch Kollegen erfolgen. Der dritte Weg ist allerdings umstritten, da dieser unter Umständen auch ein Zeichen mangelnder Motivation sein könnte.

Fiorina Giuliani

Welche Effekte und Auswirkungen - auf die eigene Arbeit und darüber hinaus - kann man sich davon versprechen?

Generell lassen sich in Studien eine Reihe positiver Konsequenzen von Job Crafting finden. So zeigte sich in einer Metaanalyse, dass Erwerbstätige aufgrund von Job Crafting von einer höheren Arbeitszufriedenheit, einem grösseren Arbeitsengagement, besseren Arbeitsleistung und einem tieferen Stresslevel berichten. Hervorzuheben ist jedoch, dass Job Crafting nur dann zu diesen positiven Konsequenzen führt, wenn Ressourcen erhöht oder Anforderungen gesteigert werden. Wenn es jedoch zu einer Verringerung von Arbeitsanforderungen kommt, findet man negative – wenn auch nicht signifikante – Zusammenhänge mit den genannten Merkmalen vor.

Inwiefern sind Arbeitgeber und Kollegen in diesen Prozess eingebunden?

Insgesamt ist es ratsam Job Crafting nicht dem Zufall zu überlassen, sondern es aktiv zu fördern. Zu beachten ist jedoch, dass Job Crafting nicht erzwungen werden kann. Allerdings können günstige Bedingungen geschaffen werden. Eine Möglichkeit, den Arbeitgeber und die Kollegen einzubinden, besteht darin, dass man auf Organisationsseite aktiv Job Crafting fördert. So kann man auf verschiedene Job-Crafting-Praktiken aufmerksam machen und vor allem jene, die organisationsdienlich sind, durch einen persönlich zugeschnittenen Job Crafting Plan bewusst fördern. Wichtig dabei ist auch, dass nicht nur ein Plan erstellt wird sondern, dass der Prozess kontinuierlich durch Austausch und Reflexionen begleitet wird. In einer wissenschaftlichen Studie konnte gezeigt werden, dass durch diesen Ansatz positive Emotionen, Selbstwirksamkeit sowie Tätigkeitsressourcen zunehmen. Wie jedoch Job-Crafting-Verhalten gesteigert werden kann, bedarf noch weiterer Forschung. Grundsätzlich ist es sinnvoll Führungskräfte im Job-Crafting stärker einzubinden, sodass sie als Rollenmodell inspirieren, ein offenes Kommunikationsklima sowie eine Feedbackkultur schaffen, oder gewünschte Crafting-Verhaltensweisen verstärken.

Und profitieren die Organisationen auch davon, wenn Ihre Mitarbeitenden zu «Job Craftern» werden?

Job Crafting kann mit einer Vielzahl erwünschter Ergebnisse einhergehen. So konnten in wissenschaftlichen Studien grosse positive Zusammenhänge mit Arbeitsengagement und mittlere positive Zusammenhänge mit Arbeitszufriedenheit gefunden werden. Dies kann sich wiederum positiv auf das Arbeitsklima auswirken und eine produktive Zusammenarbeit bewirken. Job Crafting wirkt sich ebenso positiv auf die Arbeitsleistung sowie auf freiwilliges arbeits- und organisationsdienliches Verhalten aus. Darüber hinaus kann Job Crafting bei der Bewältigung von organisationalen Veränderungen helfen und tritt besonders häufig bei Mitarbeitenden unterschiedlicher Hierarchieebenen und hoch komplexen sowie herausfordernden Tätigkeiten auf. Je höher das Job Crafting desto niedriger der Stress und die Fluktuation. Die einzelnen Subdimensionen von Job Crafting können jedoch unterschiedliche Wirkungen aufweisen. Günstige Einflüsse auf die Arbeitsmotivation und Arbeitsleistung lassen sich bei den Subdimensionen «Ressourcen erhöhen» und «Herausforderungen suchen» verzeichnen, während die Teilfacette «Anforderungen reduzieren» einen negativen Einfluss auf diese Ergebnisse aufweist.

Was sind typische Auslöser für Job Crafting und handelt es sich hier um einen fortlaufenden Prozess?

Die Motivation Job Crafting zu betreiben, entsteht meist aus einem von drei Grundbedürfnissen: dem Bedürfnis nach Kontrolle, dem Bedürfnis nach einem positiven Selbstbild und dem Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen. Mitarbeitende wollen ihre Arbeit so gestalten, dass sie ihren eigenen Stärken, Zielen, Wünschen und Einstellungen entspricht. Es wird also eine bessere Passung zwischen Berufstätigen, der Arbeit und der Organisation angestrebt. Ob es jedoch zu Job Crafting kommt, liegt nicht nur an der eigenen Motivation, sondern auch an situativen Faktoren. So begünstigen ausreichende Handlungsspielräume und ein persönlich hoher Stellenwert der Arbeit das Aufkommen von Job Crafting.

Das Thema unserer Magazinreihe ist «Karriere selbst gestalten». Können Sie aus Ihrer Erfahrung einen Trend erkennen, dass Personen jeden Alters vermehrt ihre Karriere in die Hand nehmen und aktiv (mit)gestalten möchten?

Job Crafting kann man in den unterschiedlichsten Altersstufen beobachten. Das tatsächliche Alter spielt jedoch eine sekundäre Rolle, primär ist das subjektive Alter – also wie alt man sich fühlt – für die aktive Gestaltung der Arbeitsaufgaben verantwortlich. Sich jung fühlende, ältere Arbeitnehmende betreiben häufig Job Crafting. Dieser Befund ist insofern wertvoll, als dass sich das subjektive Alter beeinflussen lässt und man somit den Alterungsprozess von älteren Personen positiv beeinflussen kann. Forschungsergebnisse legen zudem nahe, dass Personen, die Job Crafting betreiben, öfter ihre Arbeit als sinnstiftend erleben. Mit zunehmendem Alter wird die verbleibende Lebenszeit als kürzer wahrgenommen und so wird persönlich sinnvolle Arbeit priorisiert. Job Crafting bietet hierbei eine ideale Möglichkeit den Arbeitsplatz an die eigenen Wünsche und Ziele anzupassen.

Welche ersten Schritte könnten unsere Leserinnen und Leser nun gehen, um zu «Job Craftern» zu werden?

Allgemein hängt die Neigung Job Crafting zu initiieren mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. Vor allem steht eine proaktive Persönlichkeit, Extraversion (insb. Selbstbehauptung), Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Verträglichkeit mit Job Crafting im Zusammenhang. Ebenso sind eine positive Erwartungshaltung und eine generelle Selbstwirksamkeit, d.h. ein grosses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten mit Job Crafting korreliert. Menschen, die im Allgemeinen nach Gewinnen, Errungenschaften oder Hoffnungen streben, gestalten ihre Tätigkeiten eher aktiv um. Die Erkenntnis, dass man selbst aktiv werden kann, um die Arbeit motivierend zu gestalten, kann zu Job Crafting führen. Häufig sind es nicht nur die grossen, sondern auch die kleinen Anpassungen, die zu einem Motivationsanstieg und einer besseren Nutzung eigener Stärken führen. Hinderlich für Job Crafting können hingegen Zynismus, eine distanzierte oder gleichgültige Einstellung zur Arbeit, ein Fokus auf Sicherheit und eine Vermeidung von Verlusten bei der Zielverfolgung sowie eine hohe Arbeitsbelastung sein.

Job Crafting kann bewusst trainiert werden. Basierend auf der «Original Michigan Job Crafting Intervention» können sechs Stufen durchlaufen werden, um Job Crafting zu trainieren. Im ersten Schritt geht es darum, die eigene Person besser kennenzulernen, das heisst die persönlichen Stärken und Motive zu eruieren. Im zweiten Schritt werden die Aufgaben und Pflichten analysiert und der Zeitaufwand sowie ihre Wichtigkeit dokumentiert. Im dritten Schritt werden die ersten beiden Schritte miteinander verglichen. Danach werden Veränderungen formuliert und ein konkreter Handlungsplan mit definierten Zielen und Verhaltensweisen in den folgenden vier Wochen implementiert. Im fünften Schritt werden die initiierten Veränderungen evaluiert und zuletzt werden im sechsten Schritt Erfahrungen über die Vorteile und Hindernisse der Veränderungen ausgetauscht.

Vielen Dank, Frau Giuliani!

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