Quereinstieg

Sich in der Lebensmitte beruflich nochmals komplett neu orientieren? Das geht heute besser denn je. In einigen Branchen sind die Chancen für einen Quereinstieg sogar besonders gut.

Chance Quereinstieg

Mit 50 ein Studium beginnen – und noch dazu in einem ganz neuen Fachbereich? Catherine Leu hat genau das vor drei Jahren gewagt. «Das Lernen fällt mir erstaunlich leicht», sagt die Zürcherin, die in Teilzeit an der Fachhochschule der Stadt Soziale Arbeit studiert. Häufig lerne sie gemeinsam mit ihren vier Kindern. «Wir motivieren uns gegenseitig.»

Ursprünglich hatte Leu Gärtnerin gelernt. Das Arbeiten in der Natur gefiel ihr, doch der Verdienst war gering, und die körperliche Anstrengung wurde irgendwann zu viel. So entschloss sie sich für einen ersten beruflichen Kurswechsel – sie wurde Tramchauffeuse. Als die Kinder selbstständig wurden und allmählich auszogen, wurde Leu allerdings klar, dass sie eine neue berufliche Herausforderung brauchen würde. Bei der Neuorientierung half ihr ein Kurs für Wiedereinsteigerinnen an der kantonalen Schule für Berufsbildung EB Zürich. Sie entschied sich für die Arbeit mit Menschen. «Menschen haben mich immer interessiert. Bereits beim Tramfahren sind immer Leute zu mir gekommen, um mit mir zu plaudern.»

Reife ist ein Vorteil

Bevor sie das Studium 2018 aufnahm, musste sie jedoch erst die Berufsmaturität erwerben. Diese gab es noch nicht, als Leu Jahre zuvor ihren Lehrabschluss gemacht hatte. An der Fachhochschule gehört sie jetzt zwar zu den älteren Studierenden, eine Exotin ist sie aber nicht: In der Fachrichtung Soziale Arbeit gilt persönliche Reife als Vorteil. Wenn Leu voraussichtlich 2022 abschliesst, kann sie sich gut vorstellen, eine beratende Funktion zu übernehmen – etwa in einer psychiatrischen Klinik. «Ich bin zuversichtlich, dass ich eine Stelle finde», sagt sie. Und: «Jetzt will ich nochmals richtig Gas geben.»

Bildung auf verschlungenen Wegen

Wie immer mehr Quereinsteigende hat auch Catherine Leu davon profitiert, dass das Bildungssystem in den letzten Jahren immer vielschichtiger geworden ist. Die Einführung der Berufsmatur in den 1990er-Jahren erlaubt ein Studium an einer Fachhochschule nach Abschluss oder parallel zu einer Berufslehre. Wer einen ausgewiesenen Erfahrungshintergrund, jedoch keine Matur vorweisen kann, erhält häufig die Möglichkeit, die Qualifikation für das Studium in einer gesonderten Prüfung, genannt Sur-Dossier, zu erwerben – dies gilt auch für das breite Weiterbildungsangebot.

Eine Übersicht zum Schweizer Bildungssystem inklusive möglicher Abschlüsse ist hier zu finden.

Die vielfältige Bildungs- und Weiterbildungslandschaft erlaubt auch unkonventionelle Berufsbiographien und Quereinstiege – eine Chance speziell für Menschen, die zum Beispiel schon länger nicht mehr in ihrem angestammten Beruf arbeiten, deren Job Restrukturierungen oder der Digitalisierung zum Opfer gefallen ist oder die ganz einfach Lust auf etwas Anderes haben.

Quereinsteiger:innen sind gefragt

Der Wechsel in einen anderen Fachbereich ist oft mit finanziellen Einbussen verbunden, was viele allerdings wegen der gestiegenen Lebensqualität in Kauf nehmen. Eine Ausbildung ganz ohne Einkünfte können sich trotzdem nicht alle leisten. Eher finanzierbare Einstiegsmöglichkeiten in etwas Neues gibt es beispielsweise in Bereichen, in denen ein Fachkräftemangel herrscht: Etwa in der Pflege, in der Kirche oder in der Schule. Hier werden institutionalisierte Quereinsteiger-Ausbildungen angeboten, bei denen man ziemlich bald nach Ausbildungsbeginn Geld verdient. Mag das Gehalt anfangs noch klein ausfallen, trösten die sehr guten Jobaussichten nach Abschluss der Ausbildung viele darüber hinweg.

So haben zum Beispiel an der Pädagogischen Hochschule Zürich in den letzten zehn Jahren bereits mehr als 1000 Personen mit unterschiedlichster Vorbildung eine Quest-Ausbildung abgeschlossen – einen Quereinstiegs-Studiengang als Kindergärtner:in oder Lehrer:in für Primar- und Sekundarstufe. Die Studiengänge seien sehr beliebt, und die Nachfrage nehme stetig zu, sagt Rektor Heinz Rhyn. «Die Studierenden bringen eine hohe Motivation mit. Für die Schulen sind die Lebens- und Berufserfahrungen dieser etwas älteren Lehrpersonen äusserst wertvoll.» Der Quereinstieg sei aber auch anspruchsvoll, ganz besonders für Personen mit familiären Verpflichtungen, betont Rhyn: Bereits nach dem ersten Studienjahr stehen die Studierenden mit einem Teilpensum von min. 35 bis max. 70 Prozent – je nach Studiengang – vor einer Schulklasse. Dabei verdienen sie anteilsmässig 90 Prozent des Lohns einer diplomierten Lehrperson.

Weiterführende Informationen

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