«Gut geführte Generationenvielfalt macht Unternehmen erfolgreicher»

Von Bernadette Höller, 24. Februar 2020

Gudrun Sander ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen (HSG) und Expertin im Bereich Diversity und Inclusion. Sie ist Direktorin des Competence Centre for Diversity and Inclusion, welches das diesjährige Diversity Benchmarking und die begleitende Umfrage zu umgesetzten Diversity Massnahmen in Kooperation mit Neustarter durchführt. Mehr Informationen zur Studie und Umfrage sind am Ende des Interviews zu finden.

Frau Prof. Sander, das jährlich durchgeführte Diversity Benchmarking des Kompetenzzentrums für Diversity und Inclusion der Universität St. Gallen legt dieses Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf Generationenvielfalt. Inwiefern wächst in Ihren Augen das Bewusstsein für Alter als eine zentrale Dimension von Diversität in der heutigen Arbeitswelt?

Das Bewusstsein steigt momentan stark an. Vom demografischen Wandel ist schon seit vielen Jahren die Rede, aber jetzt spüren die Unternehmungen langsam erste Auswirkungen: In unserem Diversity Benchmarking können wir eindeutig feststellen, dass es bestimmten Branchen bereits an Fachkräften mangelt. Daher ist es für Schweizer Unternehmen heute wichtiger denn je, qualifizierte Mitarbeitende jeden Alters zu halten, aus- und weiterzubilden und auch zu rekrutieren. Themen wie nachhaltiger Wissenstransfer, alternative Karrieremodelle, Nachfolgeplanung und eine alle Generationen einschliessende Unternehmenskultur sollten Bestandteil jeder Unternehmensstrategie sein.

Wie ordnen Sie die Schweiz im Umgang mit älteren Arbeitskräften im innereuropäischen oder internationalen Vergleich ein? Gibt es Länder in denen Dinge ganz anders laufen?

Innerhalb der OECD scheint es Neuseeland, Israel, Island, Estland und Schweden besonders gut zu gelingen, das Potential von älteren Arbeitskräften voll auszuschöpfen (laut einer Studie von PwC). Deutschland sollte man hier auch noch erwähnen, denn sie haben in den letzten Jahren in dieser Hinsicht grosse Fortschritte gemacht. In Neuseeland zum Beispiel sind flexible Arbeitsformen die Norm, die es Mitarbeitenden verschiedenen Alters ermöglichen, je nach Lebensphase ihren Bedürfnissen entsprechend zu arbeiten. In Deutschland gibt es sogenannte regionsübergreifende «Beschäftigungspakte», die darauf abzielen, ältere Menschen weiterzubilden und ihnen bei der Stellensuche behilflich zu sein. Es gibt also in anderen Ländern Initiativen, die wir hier in der Schweiz auch prüfen können.

Zu welchen Erkenntnissen kommt die Forschung bisher in Bezug auf die Beachtung von Altersdiversität in Unternehmen? Oder anders gefragt, was sollte man beachten, möchte man die Potentiale von Altersdiversität nutzen?

Die Forschung zeigt deutlich: Gut geführte Generationenvielfalt macht Unternehmen erfolgreicher. Altersdurchmischte Teams profitieren von einem breiteren Pool an unterschiedlichen Perspektiven, Netzwerken, Kompetenzen und Wissen. Studien zeigen zudem, dass die Produktivität sowohl älterer als auch jüngerer Arbeitnehmender in Unternehmen mit altersdurchmischten Teams höher ist und die Mitarbeitendenfluktuation senken kann. Generationenvielfalt im Team ist besonders von Vorteil bei komplexen Aufgaben und führt zu einer niedrigeren Fehlerquote. Diese positiven Auswirkungen setzen voraus, dass Unternehmungen und deren Führungskräfte sensibilisiert sind für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Generationen und dass HR-Praktiken etabliert sind, welche diesen Bedürfnissen Rechnung tragen.

Und was ist dabei die grösste Herausforderung?

Wir alle haben Vorurteile und stecken Menschen gerne vorschnell in Schubladen. Die altersbezogenen Stereotype können sich beispielsweise bei der Rekrutierung negativ auswirken. Aussagen wie «er ist zu alt, um das noch zu lernen» oder «so jung wie sie ist, kann sie sich nicht durchsetzen» beeinflussen unbewusst das Denken und die Entscheidungen vieler ManagerInnen. Im letztjährigen Diversity Benchmarking konnten wir feststellen, dass aktuell eine Tendenz besteht, BewerberInnen unter 40 Jahren gegenüber den über 40-jährigen zu bevorzugen.

Eine weitere Herausforderung ist, dass die Vorteile und Chancen von altersdurchmischten Teams sich nur dann entfalten können, wenn das Team richtig geführt wird. Ansonsten haben altersdurchmischte Teams erhöhtes Konfliktpotential und sind weniger produktiv als Teams, in denen alle aus der gleichen Generation kommen. Da braucht es also spezifische Trainings für Führungskräfte und faire HR-Prozesse, die (Generationen-)Vielfalt gezielt fördern.

Sehen Sie einen Zusammenhang vom Wunsch vieler Unternehmen mehr Frauen Führungsverantwortung zu übertragen und Massnahmen des Generationenmanagements?

Ja durchaus. Wir haben im Moment eine historisch einmalige Chance: Noch nie hatten wir so viele so gut ausgebildete Frauen am Arbeitsmarkt und gleichzeitig eine in den nächsten zehn Jahren bevorstehende Pensionierungswelle von Kadermännern der Babyboomer-Generation. Wenn es den Unternehmen jetzt gelingt, diese hoch qualifizierten Frauen für die nächsten Karriereschritte vorzubereiten – z. B. mit Talent-Management-Programmen mit einem speziellen Fokus auf den jungen Frauen, mit altersgemischten Führungstandems oder mit Reverse Mentoring – dann sehen wir in zehn Jahren einen deutlich grösseren Anteil an Frauen in Führungspositionen.

Welchen Nutzen können Unternehmen aus der Teilnahme an der Umfrage zu den umgesetzten Diversity-Massnahmen mit Schwerpunkt auf Generationen und der dazu gehörigen Benchmarking Studie ziehen?

Mit der Umfrage zu umgesetzten Diversity-Massnahmen schaffen wir Transparenz darüber, was Schweizer Unternehmen in Bezug auf Generationen und andere Diversity-Dimensionen bereits umgesetzt haben und was noch nicht so gängige Massnahmen sind. Mit einer Teilnahme am St. Gallen Diversity-Benchmarking erhalten Unternehmen darüber hinaus einen Vergleich, wie sie in Punkto Altersvielfalt zu ihren Peers stehen. Die Unternehmen erhalten Antworten auf folgende Fragen: Welche Rolle spielt Altersdiversität bei Personalentwicklungsmassnahmen? Wie ist die Altersverteilung bei der Rekrutierung? Was gelingt bereits sehr gut, was noch nicht so gut? Welche Massnahmen sind angesagt und was könnten realistische Ziele sein?