«Offenheit für Erfahrung» wichtigstes Element für Arbeitsmarktfähigkeit

Von Bernadette Höller, 12. März 2019

Philippa Dengler ist englische Schweizerin und Wirtschaftspsychologin mit Bank-Background, die ihre Leidenschaft für alles rund um «Lifelong Employability» entdeckt hat. Davon und was das alles mit dem Praktikum Arbeitswelt 4.0 zu tun hat, erzählt sie uns bei einer Tasse Nescafé (Engländerinnen sind das gewohnt).

Du warst lange Zeit damit beschäftigt, Veränderungen in Banken zu managen – Warum hast du begonnen, dich für das Thema Arbeitsmarktfähigkeit zu interessieren?

In meinem Berufsleben erlebte ich wie viele Menschen, teilweise nach vielen Dienstjahren und ohne Vorbereitung auf neue Herausforderungen, von einem Tag auf den anderen arbeitslos wurden. Vielleicht noch schlimmer, sah ich auch unheimlich viele, die sich an Arbeitsplätze klammerten, mit denen sie sich eigentlich nicht mehr identifizieren konnten, aus Angst vor fehlenden Alternativen auf dem Arbeitsmarkt.

Man hört ja immer wieder, dass Menschen über 50 als «ältere Arbeitnehmer» betrachtet werden und es schwierig haben, eine passende neue Stelle zu finden. Gleichzeitig erleben wir die unaufhaltbare demografische Entwicklung: Unsere Gesellschaft wird älter.

In meinem Wirtschaftspsychologie-Studium haben wir die zentrale Rolle der Arbeit für das Leben studiert. Ich habe mich dann entschieden zu erforschen, was sich ändern muss, damit wir während unseres immer länger werdenden Lebens auch länger arbeiten können.

Was sind die wichtigsten Elemente der Arbeitsmarktfähigkeit?

Arbeitsmarktfähigkeit ist ja die Fähigkeit, auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt eine passende Stelle zu finden, und wird oft schnell mit lebenslangem Lernen in Verbindung gebracht. Ohne Zweifel ist der kontinuierliche Erhalt und Aufbau verlangter Kompetenzen und entsprechenden Wissens sehr wichtig. Jedoch ist «Arbeitsmarktfähigkeit» komplexer als «nur» die richtigen Kompetenzen zu haben.

Die eigene nachhaltige Gesundheit – physisch sowie psychisch – spielt eine grundlegende Rolle. Denk- und Verhaltensmuster bezüglich Karriere, Arbeitsmodelle und Kollaboration prägen die Wahrscheinlichkeit einer längeren Arbeitsmarktfähigkeit – gemeint sind die eigenen Muster, aber auch die des Umfeldes. Das berufliche und private Netzwerk darf man auf keinen Fall unterschätzen und, last but not least, wie man selber über das Älterwerden denkt und sich verhält.

Du sprichst das Älterwerden an. Hat deine Forschung bestätigt, dass es mit fortschreitendem Alter immer schwieriger wird, die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten?

In Gegenteil zu meiner Erwartung: Nein! Es leugnet niemand, dass heutzutage eine gewisse Altersdiskriminierung vorhanden ist. In meiner Studie waren Menschen, die proaktiv etwas machen, um ihre Arbeitsmarktfähigkeit länger erhalten zu können, jedoch in allen Altersgruppen zu finden. Das Bildungsniveau der Menschen spielte eine wichtigere Rolle als das Alter und – am allerwichtigsten: unabhängig vom Alter oder vom Bildungsniveau – war das Persönlichkeitsmerkmal «Offenheit für Erfahrung». Angestellte, die eine höhere Offenheit für neue Erfahrungen haben, suchen ständig neue Herausforderungen und treten regelmässig aus ihrer Komfortzone heraus, um sich weiterzuentwickeln. Sie sind bereit, Veränderung willkommen zu heissen und selbst etwas zu unternehmen, damit sie auch in Zukunft gerne arbeiten und auch eine passende Stelle finden können.

Was heisst das für Unternehmen?

Immer mehr Unternehmen realisieren, dass sie sich und ihre Mitarbeitenden auf den Arbeitsmarkt von morgen besser vorbereiten müssten. Nicht nur wegen des demografischen Wandels, sondern auch auf Grund der Digitalisierung, des Einsatzes von künstlicher Intelligenz sowie der fortschreitenden Globalisierung und Dezentralisierung. Viele Strukturen, Führungspraktiken und Prozesse sind aber auf den Anforderungen der Vergangenheit aufgebaut. Es reicht nicht einfach zu sagen: «Alles wird anders. Liebe Belegschaft, ihr musst euch verändern!». Vor allem, weil ganz viele Leute eine eher niedrige Offenheit für neue Erfahrungen von sich aus haben. Viele gut gemeinte, unternehmensweite Initiativen und Angebote bleiben so ungenutzt. Es gilt, Experimente zu wagen, die neue soziale Normen schaffen und neue Denk- und Verhaltensmuster fördern. Genau dort setze ich als Beraterin und mit meinen Angeboten für Unternehmen an.

Wir sind glücklich, dass du deine Expertise und Leidenschaft auch bei der Neustarter-Stiftung für das Experiment «Praktikum Arbeitswelt 4.0» einsetzt. Was hat dich dazu bewegt?

Erstens habe ich mich sehr gefreut, Menschen in Zürich gefunden zu haben, die im Bereich Arbeitsmarktfähigkeit für Menschen über 49 tätig sind und ich fand euch auf Anhieb sehr sympathisch!

Der Hauptgrund ist aber, dass das «Praktikum Arbeitswelt 4.0» eine praktische Massnahme ist, die es Unternehmen ermöglicht, ihre Mitarbeitenden mit Taten statt Worten in der Weiterentwicklung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit zu unterstützen und zwar auch diejenigen Mitarbeitenden, die nicht unbedingt von sich aus bereits etwas proaktives machen. Wir ermöglichen bei diesem Experiment langjährigen Mitarbeitenden aus etablierten Grossunternehmen und KMUs ein vierwöchiges Praktikum in einem Start-up.

Der zusätzliche Nutzen ausser für die Einzelne und den Einzelnen, der auf der Hand liegt, entsteht im Team, in das der Praktikant nach vier Wochen zurückkehrt – mit neuen Denk- und Herangehensweisen, neuen Tools und einem neuen Netzwerk.

Wie gesagt, das Ganze ist ein Experiment – wir wissen nicht, was wirklich passieren wird und die Teilnehmenden werden unumgänglich viel lernen. Ich bin überzeugt, dass die Unternehmen, die jetzt etwas Neues wagen, um ihre langjährigen Mitarbeitenden zu fördern und auch um zu zeigen «Wir brauchen euch!» werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erfolgreicher sein.

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