Als die Söhne aus dem Haus waren, hatte Flavia Dax-Ruoso plötzlich wieder viel Freizeit und Lust, etwas zu unternehmen und Neues zu wagen. Also hat sie mit 55 Jahren entschieden, sich einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen und Pflegefachfrau zu werden – und steht jetzt kurz vor der Diplomübergabe.
Ursprünglich habe ich eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Ich habe auf dem Beruf gearbeitet, eine Familie gegründet und bin Mami geblieben. Dies hat mich soweit erfüllt, bis die Söhne eine Ausbildung begonnen haben. Da wurde mir bewusst, dass ich viel Freizeit hatte, die ich versuchte mit Sport auszufüllen – was nicht ganz befriedigend war. Mit 40 eine Stelle im kaufmännischen Bereich zu finden, erwies sich als sehr schwierig. Stundenweise zu arbeiten wäre problemlos möglich gewesen, aber für mich keine Option. Ich fühlte mich geistig unterfordert und das ständige Vorausplanen war nicht mein Ding. Zufällig stiess ich auf das Ausbildungsangebot vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) und habe mich eines Tages dazu entschieden, etwas ganz Neues zu wagen und Pflegefachfrau zu werden.
Das war schon immer mein Traumberuf. Zuerst habe ich mich zur Pflegehelferin SRK ausbilden lassen. Die Ausbildung war relativ kurz und gut dafür geeignet, um sich ein erstes klares Bild des Pflegeberufes zu machen. Dabei hat es mich vollends «gepackt» – meine Passion für diesen Berufszweig war geweckt. Ich wollte nicht «nur» Pflegehelferin bleiben, mein Interesse für die Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit war geweckt. Eine Ausbildungsverantwortliche hat mir jedoch erklärt, dass ich aufgrund meines Alters und weil ich im Besitz eines Eidg. Fähigkeitszeugnisses (EFZ) bin, besser für die Ausbildung zur Pflegefachfrau HF geeignet wäre. Zuerst musste ich ein paar Mal leer schlucken. Nach den besuchten Informationsanlässen, einigen Diskussionen in der Familie und den bestandenen Eignungsprüfungen, war für mich die Berufswahl klar.
Das war und ist auch jetzt nicht einfach. Wenn man sich für eine solche Ausbildung entscheidet, muss man sich bewusst sein, dass es sich um ein Studium handelt und keine Lehre. Das verlangt einiges an Flexibilität und Verständnis vom familiären Umfeld. Man stösst auf Unverständnis und Kopfschütteln und man muss zu 200% davon überzeugt sein, dass es das Richtige ist. Die Ausbildung duldet keine Ausreden.
Auch sollte klar sein, dass der Lernstoff in möglichst kurzer Zeit gelernt werden muss. Vor allem für QuereinsteigerInnen mit Familie nicht ganz einfach. Jüngere Studentinnen und Studenten wohnen unter Umständen bei den Eltern und müssen sich nicht um Haushalt, die Wäsche oder ums Kochen kümmern. Die Entlöhnung während des Studiums ist gering, daher muss ich auch die finanzielle Situation im Auge behalten.
Das war nie ein Thema und ich habe keine Probleme damit. Ich habe mich auf die jeweilige Situation eingelassen und bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht. Es wurde mir gegenüber bestätigt, dass in meiner Klasse sogar eine grössere Ruhe geherrscht habe als in anderen. Meine Mitstudierenden und DozentInnen haben mich immer respektvoll behandelt und sehr viel Geduld aufgewendet, wenn ich mit Unklarheiten zurechtkommen musste.
Ich denke, hier hilft die Lebenserfahrung und die persönliche Ausstrahlung. QuereinsteigerInnen, vor allem ältere, haben je nach dem ein ganz anderes Auftreten und können davon profitieren, sich auch besser verkaufen zu können.