Wird Altersdiskriminierung noch immer akzeptiert?

Von Stephanie Cengiz, 14. Mai 2018

Es entscheiden sich immer mehr Arbeitnehmer, über die Pensionierungsgrenze hinaus zu arbeiten. Und trotzdem setzen sich nur die wenigsten Unternehmen mit der Thematik der alternden Belegschaft auseinander. Ein Blick nach Grossbritannien.

Der 58-jährige James Clark veranstaltet alle zwei Wochen eine «tea and teach’ session» (auf Deutsch: Tee- und Lehrstunde) in der High-Street-Filiale von Barclays im Westen Londons. James Clark ist Community-Banker der Retail-Bank und führt Kunden durch Themen wie Online-Banking bis hin zu E-Mailing.

Die kostenlosen Kurse stehen allen offen. Und die Teilnehmer gehören vor allem der dritten Lebensphase an. «Einige der wichtigsten Themen, mit denen wir konfrontiert werden, sind ältere Menschen, welche die Maschinen und Technologien nutzen», sagt Clark, ein Mitglied des Silver Eagles Programms von Barclays, einem Netzwerk von Zweigstellen, das ältere Menschen mit digitalen Technologien vertraut machen soll. «Die Leute kommen mit ihren Fragen zu mir, da ich mit meinen 58 Jahren zugänglicher für sie bin als jemand Jüngeres.»

Nur den wenigsten Unternehmen sind die Auswirkungen des demografischen Wandels bewusst

Das ist eines der wenigen Beispiele britischer Unternehmen, die sich dem demografischen Wandel anpassen. Laut einer aktuellen Studie der Wohltätigkeitsorganisation «Age UK» wird sich die Zahl der über 65-Jährigen in England bis Ende des nächsten Jahrzehnts voraussichtlich fast verdoppeln (48%): auf 16 Millionen.

Das bietet eine Marktchance. Aber was ist mit älteren Arbeitnehmern? Derselbe demografische Wandel, der Marktchancen ermöglicht, erfordert auch ein Umdenken der Personaler. Denn seit das verpflichtende Renteneintrittsalter von 65 Jahren im Jahr 2011 aufgehoben worden ist, ist die Zahl der über 65-Jährigen, die sich für eine Erwerbstätigkeit entschieden haben, auf über eine Million gestiegen.

Trotz der weit verbreiteten Erwartung, dass diese Zahl weiter steigen wird, nehmen nur die wenigsten Unternehmen diese Herausforderung einer alternden Belegschaft ernst, sagt Christopher Brooks, politischer Berater für Beschäftigung und Qualifikationen bei Age UK. «Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es sinnvoll, dass Unternehmen die Fähigkeiten und das Know-how nutzen, das alle Altersgruppen ihren Mitarbeitern vermitteln», sagt er.

Die Forschung belegt die Vorteile einer altersübergreifenden Belegschaft: Bis zum Alter von 70 Jahren sind ältere Arbeitnehmer genauso produktiv wie ihre jüngeren Kollegen, argumentiert ein Regierungsbericht aus Grossbritannien.

Gemischte Teams erhöhen laut der Studie die relative Produktivität älterer und jüngerer Arbeitskräfte. Eine aktuelle Arbeitsmarktstudie der Mitgliedsorganisation «Unternehmen in der Gemeinschaft» (BITC) des privaten Sektors weist jedoch darauf hin, dass Unternehmen solche Vorteile verpassen, weil sie nicht in der Lage sind, ältere Mitarbeiter anzuwerben und zu halten.

Die Nichtumsetzung alterssensibler Politiken wie flexible Arbeitsverträge und Teilzeitverträge zwingt ältere Menschen oft aus dem Erwerbsleben – insbesondere diejenigen, die sich ihrer eigenen Gesundheit oder derjenigen ihrer Eltern zuwenden müssen. Und auch wenn aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Arbeitskräfte ein Teilzeitangebot erhalten würden, können die Hürden für die Rückkehr in die Arbeit enorm sein. «Es gibt eine Minderheit von Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt aussteigen und es unmöglich finden, jemals wieder zu arbeiten – auch wenn viele von ihnen es gerne würden», sagt Brooks.

Altersdiskriminierung: das «gute» Vorurteil

Die Verbreitung der Altersdiskriminierung sollte jedoch nicht unterschätzt werden. «In unserer Kultur ist es immer noch in Ordnung, allgemeine Annahmen über Menschen aufgrund ihres Alters zu treffen», sagt Rachael Saunders, Leiter des Age at Work-Programms des BITC. Während kein Unternehmen mehr mit der spezifischen Suche nach «einer Frau» oder «einer weissen Person» davonkommen würde, scheint es trotzdem in Ordnung zu sein, etwas zu sagen wie: «Ich möchte, dass ein strahlendes, junges Ding für mich arbeitet.»

Altersdiskriminierung hat viele Gesichter. Meistens ist die Altersdiskriminierung das Ergebnis von Stereotypen. Beispielsweise ein Manager, der sich von einem Kandidaten mit mehr Erfahrung bedroht fühlt. Oder ein Personalvermittler, der eine unbewusste Neigung zu Kandidaten seines oder ihres Alters zeigt.

Der Beweis dafür, dass Diskriminierung aufgrund des Alters vorliegt ist schwierig, insbesondere in der Einstellungsphase. Eine Handvoll offener Fälle von Altersdiskriminierung wie Zwangs- oder Altersgrenzen finden jedes Jahr ihren Weg vor Gericht. «Aber wir stehen erst am Anfang der Reise, wo subtile kulturelle Diskriminierung einsetzt», gibt Saunders zu.

Ein besonders kritischer Punkt ist die Jugendarbeitslosigkeit. Laut den neuesten Regierungsstatistiken liegt die britische Arbeitslosenquote der jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren bei rund 743.000. Sollten diejenigen, die am Anfang ihres Arbeitslebens stehen, Vorrang vor denen haben, die ihrem Ende entgegengehen?

Nein, sagen Sie Befürworter für ältere Arbeitnehmerrechte. Die Idee rührt von der falschen Vorstellung her, dass die Gesamtzahl der Arbeitsplätze festgelegt ist. Nach den aktuellen Prognosen müssen die Arbeitgeber im Vereinigten Königreich jedoch in den nächsten zehn Jahren 13,8 Millionen offene Stellen besetzen, so die National Voice for Lifelong Learning. Während dieser Zeit verlassen nur 7 Millionen Jugendliche die Schule und das College. Kurz gesagt, es gibt genügend Arbeitsplätze für junge und alte Arbeitnehmer.

Eine überzeugende Argumentation ist zudem die folgende: Wenn sich nur die Hälfte der arbeitslosen oder inaktiven 1,2 Millionen älteren Arbeitnehmer, wieder Vollzeit im Arbeitsmarkt integrieren könnte, könnte das jährlichen BIP des Vereinigten Königreichs um schätzungsweise 25 Milliarden britische Pfund wachsen, deuten Regierungsberechnungen an. Mit mehr Kaufkraft in den Händen älterer Menschen würde die Nachfrage steigen und damit würden Arbeitsplätze geschaffen.

«Sowohl den jungen als auch den älteren Arbeitnehmern sollte genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt werden», sagt Dirk van Dierendonck, Professor für Personalmanagement an der Erasmus-Universität. «Im Idealfall sollten wir auf eine Situation hinarbeiten, in der Menschen aus verschiedenen Generationen zusammenarbeiten.»

Zum Schluss nochmals ein kurzer Abstecher zu Barclays: Die Bank beabsichtigt, noch im Jahr 2018 ihre Ausbildung für junge Leute auch Kandidaten jeden Alters zu öffnen. «Der 60-jährige Praktikant» – eine moderne Sage?

Dieser Artikel vom The Guardian mit dem Originaltitel «Age discrimination is still seen as okay in the workplace» wurde, mit freundlicher Genehmigung des Urhebers, ins Deutsche übersetzt. Autor des Originalartikels ist Oliver Balch.

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