Christoph Negri ist Leiter des IAP, dem Institut für Angewandte Psychologie an der ZHAW. Wir von Loopings arbeiten im Rahmen des «Loopings Start-up Praktikums» eng mit ihm zusammen: Er misst mit seinem Team den Erfolg des Experiments.
Es ist eine neue Idee. Sie erinnerte mich an einen früheren Ansatz, den wir «Boxenstopp» nannten. Dabei ging man einfach 1-2 Wochen in eine andere Berufswelt, in ein Altersheim zum Beispiel. Es ging um den Gedanken eines Seitenwechsels. Dieser Seitenwechsel und die Öffnung des eigenen meist branchenblinden Blicks auf die Dinge, ist mir heute noch wichtig.
Hinzu kamen bei diesem Projekt Themen, die uns am IAP Institut für Angewandte Psychologie sehr interessieren, wie zum Beispiel die Arbeitswelt 4.0, die immer neue Ausrichtung einer beruflichen Laufbahn und der Gedanke des lebenslangen Lernens. Auch die Zusammenarbeit zwischen eher schweren, grossen Organisationen wie Banken und Versicherungen mit kleinen, agilen Start-ups ist interessant. Start-ups mögen manchmal etwas improvisiert und sehr flexibel wirken, aber genau hier liegt viel Lernpotenzial.
Die Fragestellung in diesem Projekt war zudem sehr reizvoll: «Welche Formen von Weiterbildung können wirklich etwas bewirken»? Diese Frage treibt uns am IAP ebenfalls um. Sie mit einem wissenschaftsbasierten Ansatz in diesem Projekt begleiten zu können, ist für uns alle ein Gewinn.
Die Testgruppen sind eher klein, daher verfolgen wir einen qualitativen Ansatz. Wir machen Interviews mit den Testpersonen, und das zu drei verschiedenen Zeitpunkten im Prozess: Einmal bevor die Praktikanten starten. Das ist vor allem wichtig, weil sich eine gute Weiterbildung an den Bedürfnissen der Teilnehmenden orientieren sollte. Es ist also wichtig zu wissen, wo ein Mensch im Berufsleben steht, wo genau er oder sie Lernbedarf hat, in welchen Bereichen man neugierig und offen ist und was genau man sich von einer Weiterbildung erhofft. Dafür ist die Ursprungsmessung wichtig.
Die zweite Messung geschieht unmittelbar nach Abschluss des 4-wöchigen Praktikums. Diese Phase durchlaufen wir zurzeit. Hier schauen wir, wie zufrieden die Teilnehmenden sind, was sie wirklich lernen konnten, was neu und was vielleicht schwierig war. In dieser Phase können wir erste Vergleiche machen zum Ausgangszustand und der Erfüllung der Erwartungen.
Besonders interessant wird es bei der dritten Messung. Diese findet 4-6 Monate nach dem Praktikum statt, wenn die Person wieder in ihrem angestammten Arbeitsalltag ist. Hier fokussieren wir auf die Langzeitwirkung: Was hat es wirklich gebracht? Was hat sich verändert? Was konnte erreicht werden? Dieses 3-stufige Evaluationssystem hat sich sehr bewährt und wird auch in unseren eigenen Weiterbildungen seit langer Zeit regelmässig eingesetzt.
Ein interessanter Effekt, den wir in unseren eigenen Weiterbildungen beobachtet haben, ist, dass viele Weiterbildungsteilnehmende ihre Kompetenzen unmittelbar nach der Weiterbildung als geringer einschätzen als vor der Weiterbildung. Das hängt damit zusammen, dass sie während des Lernens ihren Referenzrahmen erweitern. Erst wenn man 6 Monate später schaut, wie sich die Person im Arbeitsalltag entwickelt hat, bestätigt sich der Lernfortschritt. So einen Erfolg erhoffen wir uns natürlich in diesem Projekt «Loopings Start-up Praktikum» auch.
Die lineare Aufstiegskarriere macht in der digitalen und agilen Arbeitswelt immer weniger Sinn, zumal sie kein Rezept für eine immer länger werdende Spanne an Erwerbsjahren ist. Was ist aus Ihrer Sicht eine zukunftsfähige Laufbahngestaltung?
Früher zählten vor allem Fachkompetenzen. Dann kamen Soft Skills hinzu. In der Arbeitswelt 4.0, in der die Zusammenhänge komplexer und die Reaktionszeiten immer kürzer werden, geht es vermehrt um Metakompetenzen. Im Bereich des innovativen Lernens spricht man gerne vom «4K-Modell». Es geht um Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken. Diese Kompetenzen spielen in Projekten wie «Loopings Start-up Praktikum» eine relevante Rolle. Man muss bereit sein, über seinen eigenen Schatten zu springen, in eine neue Rolle zu gehen, die Dinge von einer anderen Seite anzuschauen. Vor allem für Menschen, die bereits eine Führungslaufbahn hinter sich haben, ist das eine grosse Herausforderung. Man muss sich auch in einer anderen Rolle sehen können, als Senior Berater zum Beispiel. Solche Modelle gibt es in vielen Organisationen, auch bei uns an der ZHAW. Entscheidend ist dabei, dass man sich die Neugier erhält. Es wird zwar noch klassische Laufbahnen geben, aber die neuen Generationen fordern neue Laufbahnkonzepte und damit auch ein Umdenken in der Karriereplanung.
Es wird weiterhin Formate geben, die auf formale Abschlüsse ausgerichtet sind. Diese Art der Abschlüsse sind sehr etabliert in der Schweiz und geniessen grosse Akzeptanz. Es wird zwar alles modularer und flexibler. Das ist aber nicht wirklich neu. In der Zukunft wird es hingegen neue Formen von Lernen geben. Durch die Digitalisierung entstehen neue Formen, die Mehrwert bringen, wie Videos, Podcasts, und andere Formen im Rahmen des Blended-Learning. Ich glaube aber nicht, dass Lernen nur noch digital stattfinden wird, denn das Lernerlebnis ist eng verbunden mit zwischenmenschlicher Begegnung und diese prägt die Lernerfahrung. Am IAP sind wir daher überzeugt, dass es auch in Zukunft ein «sowohl als auch» sein wird.
Komplett umzusatteln ist vielleicht gar nicht so sehr der Kern des Gedankens. Die meisten Menschen über 45 haben einfach schon sehr viel gesehen und erlebt. Ich denke, dass es ein natürlicher Wunsch der Menschen ist, das eigene Weltbild, den Einsatz der eigenen Kräfte und die bisherige Erfahrungswelt ab einem gewissen Alter noch einmal etwas zu erweitern. Da fragt man sich dann «was könnte ich denn noch machen?», «was könnte es noch geben, das mich neu motiviert und reizt?». Dieser Punkt im Leben ist etwas sehr Natürliches. Die kritische Frage ist, ob das überhaupt noch möglich ist. Denn es eine Sache, sich als Mitarbeitender nochmals neu zu orientieren. Die andere Sache – die aber für so einen Schritt genauso wichtig ist – ist das Engagement des Arbeitgebers.
Diese Frage müssen also Organisationen in der Zukunft beantworten. Können sie, wollen sie überhaupt ältere Menschen einstellen, die nicht auf ihrem Erfahrungsgebiet arbeiten, sondern ganz neu anfangen? Auch im Projekt «Loopings Start-up Praktikum» ist dieser Punkt ein Thema. Es braucht Verbindlichkeit und Willen von beiden Seiten: Die Teilnehmenden können zwar in ein Praktikum gehen. Aber wenn die eigene Organisation sich nicht verbindlich zeigt und den Einsatz dieser Mitarbeitenden danach weiter fördert, dann macht alle Weiterbildung keinen Sinn.
Ich finde dieses Projekt sehr wichtig und würde mir wünschen, dass es weitergeführt wird und solche Formen der Weiterbildungs-Kooperation sich noch weiter etablieren.
Bei uns am IAP gibt es auch schon erste formale Lehrgänge (CAS- und MAS – Abschlüsse), die in Kooperation mit Organisationen durchgeführt werden, die aus einem anderen Kontext stammen. Dabei wird die formale Weiterbildung direkt in der Arbeitswelt umgesetzt. Eine offene Haltung, die auch branchenübergreifend Chancen nutzt, ist deshalb nicht nur eine Vision, sondern eine Notwendigkeit für die Arbeitswelt der Zukunft. Daran wollen wir weiterhin arbeiten und wir wollen neue Weiterbildungsformate entwickeln, die eng mit der Arbeitswelt verknüpft sind und die Bedürfnisse und Bedarfe der Menschen in der Arbeitswelt 4.0 aufnehmen.
In diesem Sinn wünsche ich mir eine Etablierung des «Loopings Start-up Praktikum» und wir vom IAP sind weiterhin gerne bei der Weiterentwicklung dabei.