Heute ist in der Schweiz jede fünfte Person zwischen 65 und 74 Jahren erwerbstätig. Bei der Entscheidung weiterzuarbeiten, spielen viele Faktoren eine Rolle: etwa die Gesundheit und finanzielle Situation, aber auch Familie und Freund:innen. Interviews zeigen, dass frühere Lebens- und Karriereentscheidungen sowie der eigene Handlungsspielraum bei der Arbeit einen Einfluss ausüben.
Welche Motive, Ermöglichungsfaktoren und Hindernisse beeinflussen die Weiterarbeit im Rentenalter? In der Studie «Erwerbstätigkeit im Rentenalter» untersucht ein Forschungsteam des Instituts Alter der Berner Fachhochschule BFH die bezahlte Arbeit nach der Pensionierung. Ein Teil der Studie beinhaltete Gespräche mit Personen im Pensionsalter, die auch im Rentenalter weiterarbeiten. Diese Gespräche wurden in einer Broschüre gesammelt und veröffentlicht (Download-Link im Kasten unten). Die sechs Portraits bieten ein intimes und vielfältiges Bild davon, wie Arbeiten nach der Pensionierung aussehen kann – abseits der bekannten Stereotypen.
Eine der portraitierten Personen ist die 73-jährige Christine Nydegger aus Bern, deren Pensionierung nur einen Monat andauerte. «Mit der Berner Zeitung habe ich mich immer eng verbunden gefühlt.» Genau einen Monat dauerte die Pensionierung der Lokalchefin Christine Nydegger. Dann war sie wieder in der Redaktion «ihrer» Zeitung tätig, und blieb dort für weitere sieben Jahre – diesmal als Redaktorin ohne Führungsaufgaben.
Alle Stationen hat Christine Nydegger bei der Berner Zeitung durchlaufen: von der freien Journalistin «als die Kinder noch im Kindergarten waren», über die Ressortleiterin bis zur Chefin der Lokalredaktion. Als Mitglied der Chefredaktion habe sie 60-Stunden-Wochen gehabt, das sei «ziemlich heftig» gewesen. Für Nydegger war stets klar, dass sie mit 64 Jahren nicht auf einmal aufhören werde. Zum einen hatte sie vor einem solch grossen Wechsel Respekt. «Ich habe mir nicht zugetraut von 100 Prozent auf null zu gehen, ich befürchtete, damit nicht umgehen zu können und darum krank zu werden.» Zum anderen musste ihre Partnerin zu dem Zeitpunkt noch 13 Jahre lang arbeiten.
Also handelte Nydegger mit ihrer Arbeitgeberin eine Lösung aus. Sie würde nach ihrem 64. Geburtstag einen Monat lang verreisen und dann in einer neuen Funktion zur Zeitung zurückkehren – aber ohne die Verantwortung ihrer früheren Leitungsfunktion. Toll war es allemal: «Ich war im Büro mit vielen jungen Leuten zusammen. So blieb ich am Puls der Zeit, was mir wichtig war.»
Zusammen im Büro mit den jungen Journalist:innen, die ich zum Teil selbst noch angestellt hatte – das habe ich ungeheuer gern gemacht.
Vor zweieinhalb Jahren fiel ihre Stelle dann der Reorganisation der Berner Zeitung zum Opfer. Mit 71 Jahren war Christine Nydegger plötzlich echt pensioniert. «Ich muss mich nun damit auseinandersetzen, dass ich mich selbst um sinnvolle Beschäftigungen kümmern muss», sagt sie. «Diesen Prozess, den andere vielleicht mit 64, 65 Jahren durchlaufen, erlebe ich jetzt.»
Schreiben tut sie immer noch, wenn auch viel weniger. Und mittlerweile auch viel öfter in der Freiwilligenarbeit. Als leidenschaftliche Fussball-Fanin schreibt Christine Nydegger inzwischen für die Website und das Frauenteam des FC Breitenrain. Sie habe ihre Dienste auch anderweitig angeboten, unter anderem auch anderen Vereinen, «aber es ist schwierig, bezahlte Schreibarbeit zu finden». Und trocken sagt die Frau, die seit 70 Jahren ins Stadion geht, um die Spiele des Berner Fussballclubs Young Boys zu sehen: «Vielleicht trauen sie es einer Frau von 73 Jahren nicht zu, zu wissen, was genau ein Abseits ist».
«Und, wie lange arbeiten Sie noch? Portraits zum Arbeiten nach dem Pensionsalter», von Torben-Nielsen Karen und Bütikofer Michelle vom Institut Alter der Berner Fachhochschule BFH (2024)
Forschungsprojekt «Erwerbstätigkeit nach Rentenalter» vom Institut Alter der Berner Fachhochschule BFH (2020–2025), das im Rahmen des
interdisziplinären Netzwerkes AGE-INT durchgeführt wird
Das Institut Alter von der Berner Fachhochschule BFH organisiert in Kooperation mit Loopings «Your Stage – Das Festival zu Arbeitswelten 60plus»
Inspiriert in den Tag: Menschen im Rentenalter geben Einblick in ihr berufliches Weiterwirken. Am 03.09. dabei: Ueli Kilchhofer (67), u.a. als Chorleiter tätig.
Deutsch: Dienstag, 03.09.2024, 08-08.30 Uhr
Mercoledì, 04.09.2024, 8–8.30
Inizia la giornata con ispirazione: persone in età pensionabile raccontano del loro continuo impegno professionale.
Italiano: Mercoledì, 04.09.2024, 8–8.30
Judith Bachmann (CYP) und Martin Meyer (Zürcher Kantonalbank) sowie Beat Godglück und Markus Aeppli (BKW) berichten über ihre Erfahrungen mit dem «Weiterschaffen im Pensionierungsalter».
Deutsch: Donnerstag, 05.09.2024, 12-13.15 Uhr