Vor dem Neustart...

Von Brigitte Reemts, 12. Juni 2018

Seien wir ehrlich: Viele Neustarter sind nicht ganz freiwillig an den Start getreten. Oftmals ist der Nährboden für einen Neustart die Freud- und Ausweglosigkeit der alten Situation. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das schmälert den Mut und die Power, die ein Neustart braucht, keineswegs. Im Gegenteil: es zeigt nur, dass es Menschen gibt, die in einer krankmachenden, sinnlosen Situation stecken bleiben. Und andere, die, sobald sie erkennen, dass das nicht gut für sie ist, durchstarten.

Oft spüren wir lange vorher, dass etwas nicht mehr stimmt. Der Spass an der Arbeit, die Identifikation mit dem Unternehmen, der Akzeptanz der Chefs, die Verbundenheit mit den Kolleginnen gehen schleichend verloren. Manchmal so schleichend, dass wir es erst gar nicht merken. Und wenn wir es merken, macht es erstmal Angst. In anderen Lebensbereichen neigen wir zur Experimentierfreude, aber im Bereich der Arbeit und des beruflichen Erwerbs verfügen wir über ein beachtliches Verharrungsvermögen. Im Allgemeinen muss schon viel passieren, ehe Menschen aktiv eine Veränderung anstreben.

Aber trotzdem: Veränderungen kündigen sich an. Einerseits sind es Veränderungen im bestehenden beruflichen Umfeld, die zum Auslöser einer Neuorientierung werden. Andererseits ist es ein persönlicher Entwicklungsprozess, der zum Wunsch einer Erneuerung führt, manchmal ist es auch beides.

Veränderungen im beruflichen Umfeld

Veränderungen im Unternehmen lassen sich vielleicht eine Weile ignorieren. Aber irgendwann merkt man, dass sie nicht nur die Anderen betreffen, sondern auch die eigene Abteilung, den eigenen Arbeitsbereich und Arbeitsplatz.

Reorganisationen

Unternehmen sind heute gezwungen, sich rasch an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, wenn sie im globalen Markt überleben wollen. Immer mehr einfache Arbeiten werden ins Ausland verlagert, weil sie dort billiger eingekauft werden können. Bei jedem Arbeitsprozess wird untersucht, ob eine Verschlankung und/oder Automatisierung möglich ist. Zudem findet in allen Bereichen eine Konsolidierung des Marktes durch Übernahmen und Fusionen von Unternehmen statt. Arbeit ist teuer – besonders in der Schweiz – und diesen Preis wollen die Unternehmen nur noch zahlen, wenn sie dafür nicht exportierbare Routinetätigkeiten erhalten, sondern unternehmensnotwendiges Know-how.

Die Chemie stimmt nicht mehr

«Chemie» ist ein etwas vager Begriff im Zusammenhang mit Veränderungen am Arbeitsplatz, aber er wird häufig verwendet, um zu erklären, dass etwas einfach nicht mehr stimmt. In den allermeisten Fällen passen die Werte und/oder die Köpfe verschiedener Personen im Unternehmen nicht oder nicht mehr zusammen. Differenzen auf der Werteebene sind häufig. Unternehmen, die sich rasch entwickeln oder zum Beispiel durch Zukäufe wachsen, haben oft Mühe, unterschiedliche Kulturen unter einen Hut zu bringen.

Neue Besen kehren anders – Chefwechsel

Auch durch einen Chefwechsel im eigenen Bereich oder durch einen Wechsel in der obersten Führung werden Veränderungen ausgelöst. Gerade an der Spitze der Unternehmen wird die Verweildauer der Chefs immer kürzer, weil sie sich zunehmend an kurzfristigsten Ergebnissen messen lassen müssen. Dieser Trend ist neu für Führungskräfte, die ihre Position noch einem langjährigen Aufstieg innerhalb der Firma verdanken. Aber auch für alle anderen Mitarbeitenden eines Unternehmens sind dadurch die Zeichen auf Veränderung gesetzt. Denn mit jeder Neubesetzung in der Chefetage müssen sich auch alle Angestellten innerhalb der Firma wieder neu positionieren. Das führt dazu, dass ganze Unternehmen dauernd mit Positionskämpfen beschäftigt sind. Neue Manager bringen zudem oft eine eigene Entourage mit, für die erst Positionen freigeräumt werden müssen. Besonders Schlüsselpositionen – also Positionen, die im direkten Umfeld des Chefs angesiedelt sind – werden mit neuen Mitarbeitenden besetzt. Dies kann den Assistenten des Geschäftsführers ebenso betreffen wie die Finanzchefin.

Wertewandel in Unternehmen

So wie sich Ihre eigenen Werte im Verlauf der Zeit verändern, wandeln sich oft auch die Werte in den Unternehmen. Viele traditionelle schweizerische Unternehmen haben sich innerhalb der letzten 20 Jahre in globale Konzerne verwandelt. Mit dieser Entwicklung haben sich nicht nur die Personen, die Strukturen und die Prozesse in diesen Firmen verändert, sondern eben auch die Werte. Wurden Mitarbeitende früher vielleicht noch als erweiterte Familie angesehen, der man Sorge tragen musste, sind sie heute eine Ressource, die je nach Bedarf zugekauft oder abgestossen wird.

Brigitte Reemts: Managing Partner, Beraterin, Autorin

Persönliche Entwicklung

Neben Veränderungen im Unternehmen kann auch die persönliche Entwicklung der Auslöser für einen Neustart sein.

Entwicklungsbedingter Wertewandel

Die eigenen Werte wandeln sich mit den Jahren, Prioritäten werden neu gesetzt. Oft ist uns gar nicht so bewusst, worin unsere Wertebasis besteht. Wird sie aber immer wieder verletzt, spüren wir das als eine Art ständige Reibung. Persönliche Werte können zum Beispiel sein: Nachhaltigkeit, Konstanz, Wertschätzung, Feedback, interessante Arbeit, Lernmöglichkeit, Status, Aufstiegsmöglichkeit. Wir starten unsere Karriere mit bestimmten Werten. Oft wählen wir beim Berufseinstieg ein Unternehmen, das unsere Werte spiegelt. So steigt ein innovationsbegeisterter Mitarbeiter, dem Sicherheit nicht so wichtig ist, vielleicht in einem Start-up ein; eine Mitarbeiterin, der Konstanz, ein geregeltes Umfeld und ein sicherer Verdienst am Herzen liegen, geht eher zu einer etablierten Firma. Doch die Prioritäten verändern sich: Der Mitarbeiter im Start-up gründet vielleicht eine Familie und merkt plötzlich, dass ihn die dauernde Unsicherheit stresst. Die Mitarbeiterin der etablierten Firma spürt mit der Zeit das Bedürfnis nach Veränderung und stösst überall auf enervierende Routinen.

Kompetenzveränderungen

Die persönlichen Kompetenzen sind im Verlauf der Jahre ebenfalls der Veränderung ausgesetzt. Startete man seine berufliche Laufbahn noch als gut ausgebildete Fachkraft, führen die schnellen Entwicklungen dazu, dass man nur mit ständiger Weiterbildung in seinem Fachbereich mithalten kann. Wer dies vernachlässigt, ist fachlich bald nicht mehr ganz auf der Höhe. So kann ein Anstoss zur Veränderung und damit für eine berufliche Neuorientierung auch sein, dass man nicht mehr in der Lage ist, die erwartete Leistung zu erbringen. Und auch nicht willens, den Anforderungs-Shift nachzuvollziehen, weil man sowieso keine Begeisterungsfähigkeit mehr für den eigenen Arbeitsbereich aufbringt. Um ständig à jour zu bleiben bei einer sich exponentiell verändernden Arbeitswelt, braucht es viel Leidenschaft. Und diese möchte man vielleicht lieber in einen Neustart in einem anderen Bereich ‘investieren’.

Die «Leave it»-Strategie

Welche Veränderung hat Ihren Neustart ausgelöst? Wann wurde Ihre innere Stimme so laut, dass Sie sie nicht mehr überhören konnten?

Grundsätzlich gibt es drei mögliche Strategien des Umgangs mit grossen Veränderungen. Sie haben – sonst wären Sie nicht bei Neustarter.com dabei – die «leave it»-Strategie gewählt. Die anderen möglichen Strategien wären «love it» oder «change it». Viele Neustarter haben erst eine oder sogar beide dieser Strategien über Jahre ausprobiert, ehe es zum «leave it» gekommen ist. Es ist gut, einen solchen Entscheid nicht überhastet und unüberlegt zu treffen. Aber noch besser und sehr befreiend ist es, ihn trotzdem irgendwann zu fällen. Viel Erfolg bei Ihrem Neustart!

Wenn ihr den Austausch mit Gleichgesinnten sucht, seid ihr am Loopings Stammtisch für Stellensuchende oder Selbstständige herzlich willkommen. Wir freuen uns darauf, euch kennenzulernen!

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