Mit dem Titel seines Albums «Bleibt alles anders» aus dem Jahr 1998 beschrieb der deutsche Barde Herbert Grönemeyer ein sehr menschliches Paradoxon: Wir sehnen uns nach Veränderung und fürchten sie zugleich. In der Arbeitswelt 4.0 bleibt den meisten gar nichts anderes übrig, als sich an ständige Veränderungen anzupassen. Doch das hat auch sein Gutes. Und keine Sorge: Das menschliche Wesen ist wandlungsfähiger als gedacht.
Ohne den Wandel geht im Leben nichts voran, aber nicht jeder fühlt sich gewappnet gegenüber all den Umwälzungen, die der Lauf der Zeit eben so mit sich bringt, und sträubt sich dagegen. So ging es etwa dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II, der hartnäckig an seinem «Glauben an das Pferd» festhielt und das Automobil nur für eine «vorübergehende Erscheinung» hielt. Auch Daryl Zanuck, Mitbegründer der 20th Century Fox, unterlag 1946 dem Irrglauben, das Fernsehen habe keine Zukunft: «Die Leute werden es bald müde sein, jeden Abend eine Sperrholzkiste anzustarren.» Diese beiden Beispiele stehen, etwas überspitzt zwar, aber doch sinnbildlich für die allgemein verbreitete Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Neuerungen. Die US-Managerlegende Jack Welch gelangte zu der Einschätzung: «Die Veränderung hat keine Anhänger. Die Menschen hängen am Status quo. Man muss auf massiven Widerstand vorbereitet sein.»
Von derlei Widerständen, wenngleich nicht ganz so massiv, wissen Unternehmer in heutigen Zeiten vielfach zu berichten. Neue Arbeitsabläufe, Organisationsstrukturen, digitale Technologien werden von der Belegschaft eher mit Unbehagen aufgenommen als freudig begrüsst. «Am Ende muss ich eh’ wieder noch mehr arbeiten», seufzt der Beschäftigte misstrauisch. Man hat ihm schliesslich jahrelang abgewöhnt, Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn er sich in seinem Hamsterrad nicht unbedingt wohlfühlt, hat er es sich dort gewissermassen gemütlich gemacht oder zumindest auf Dauer eingerichtet. Das Rädchen im Getriebe empfindet jedes Novum als bedrohlich, will nicht aus der Spur geraten.
Das ist menschlich. In biologischer Hinsicht ist es der instinktgesteuerte Teil des Stammhirns, der seit Urzeiten gegen Veränderungen rebelliert. Alles bislang Unbekannte bedroht möglicherweise unser Überleben; alsdann begegneten unsere Vorfahren Phänomenen wie dem Feuer, einer neuen Tierart, anderen Artgenossen und sonstigen Unwägbarkeiten lieber erst mal mit Vorsicht. Erst in einem späteren Schritt stellt der Mensch ein Novum auf den Prüfstand – und integriert es im Idealfall konstruktiv in den eigenen Lebensalltag. Aber bis dahin ist es ein weiter, zuweilen beschwerlicher Weg.
Um bei der Arbeitswelt zu bleiben: Zuweilen haben Arbeitnehmende gute Gründe (auch über die instinktive Reaktion ihres Stammhirns hinaus) gegenüber Massnahmen wie der berühmt-berüchtigten unternehmerischen Umstrukturierung skeptisch zu bleiben. Zum Beispiel, wenn dieselbe erschwerte Arbeitsbedingungen oder gar einen drohenden Jobverlust mit sich bringt. Nicht erst jetzt gilt es, selbst und aktiv über einen Spurwechsel nachzudenken. Die meisten Veränderungen haben ihre Vorzeichen; wer aufmerksam die wesentlichen Informationen wahrnimmt, kann schon frühzeitig angemessen darauf reagieren. Etwa, indem man seine Aufgaben bewusst und individuell mitgestaltet, sich dabei im Unternehmen unentbehrlich macht beziehungsweise auch mal alternative berufliche Möglichkeiten ins Auge fasst. Und schon ist man nicht mehr nur Spielball neuer Strukturen, sondern stösst selbige bewusst an. Fazit: Jede äussere Veränderung hat auch mit unserer eigenen Wandlungsfähigkeit zu tun. Und hier wird es psychologisch spannend.
Der Psychologieprofessor Daniel Gilbert von der Harvard University hat beobachtet, dass wir Menschen zum Glauben neigen, wir hätten unsere Persönlichkeit in der Vergangenheit zwar stark verändert, aber in der Gegenwart einen Endpunkt in unserer individuellen Entwicklung erreicht. Dieses weit verbreitete Phänomen namens «End of history illusion» steht für die Unterschätzung vor uns liegender Veränderungen. Tatsächlich unterliegen wir permanenten physischen wie psychischen Wandlungen; allein der Körper ersetzt ständig alte durch neue Zellen. Gleichermassen bleibt auch unsere Persönlichkeit im Laufe eines Lebens flexibler als gedacht. Zu den ständigen Einflussfaktoren gehören vor allem die Zeitgenossen, denen wir begegnen, die uns ebenso prägen wie wir die Mitmenschen umgekehrt. Der Forschung zufolge bewirken beispielsweise Reisen oder überhaupt Auslandsaufenthalte eine grössere Aufgeschlossenheit. Die Offenheit gegenüber anderen lässt wiederum in langjährigen Beziehungen allmählich nach. Negative Erfahrungen vermindern, positive Ereignisse hingegen steigern die emotionale Stabilität. Unsere Persönlichkeit ist also keineswegs für den Rest des Lebens in Stein gemeisselt. Es wäre also eine gute Idee, selbst auf deren weitere Entwicklung aktiv und bewusst Einfluss zu nehmen. Aber geht das überhaupt?
Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier. Wer sich verändern möchte, sollte sich zunächst darüber im Klaren sein, dass wir tagtäglich mit tausendfach erprobten, nahezu perfekt verinnerlichten und automatisierten Verhaltensmustern unterwegs sind. In unbekannten Situationen greifen wir also zunächst unwillkürlich auf das gewohnte Repertoire zurück, ob es nun aktuell passt oder nicht. Aufgemerkt: Je grösser dieses individuelle Repertoire, desto mehr Handlungsspielraum ergibt sich. Das wiederum erhöht die Chance, dass die Anpassung an neue Situationen gelingt. Alsdann empfiehlt es sich, seinen Erfahrungsschatz möglichst zu erweitern und dabei die eigene Toleranz häufiger auf die Probe zu stellen, um flexibler beziehungsweise anpassungsfähiger zu werden. Wem nicht gleich die Chance zu einem Auslandsaufenthalt gegeben ist, der kann das auch in kleinen Schritten tun. Etwa indem man sich gezielt an Orte begibt, wo man bislang eher nicht unterwegs gewesen ist. Ein neuer Stadtteil, ein Café, ein Sportverein, Kino, Theater … den Möglichkeiten sind dabei keine Grenzen gesetzt. Noch besser: mit Leuten reden, mit denen man sich ansonsten nicht unterhält. Damit kann man gleich in der Nachbarschaft anfangen. Und spannend ist das allemal, sich auf diese Weise neu zu erproben.
Mit den gewonnenen Erfahrungen erweitert sich logischerweise auch der eigene Horizont, besonders wenn diese nicht im Einklang mit der bisherigen Persönlichkeit stehen. Wer weiss, womöglich schlummern in vorher übersehenen Lebenswegen ungeahnte Möglichkeiten, die man verpasst hätte, wäre man immer derselbe geblieben.
«Veränderung erfordert nicht nur neue Antworten und Tools, sondern vor allem neue Fragen, die sich aus einem veränderten Blick auf die Welt und aus einer veränderten Haltung ergeben. Beides erfordert die Bereitschaft, gewohnte Denk- und Handlungsmuster zu überprüfen und zu wechseln», weiss die Organisationsberaterin Dr. Claudia Borowy. Sie überträgt diese Erkenntnis in ihren Coaching- und Trainingsprogrammen auf die Bühne und lässt ihre Kunden im konkreten Umgang mit komplexen Anforderungen und Einflussfaktoren fleissig improvisieren. Auch die Welt des Theaters bietet geeignete Möglichkeiten, sich spielerisch neu zu erfahren – vom Komödianten über den Dramatiker bis hin zum Regietalent.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht beim Thema Wandlungsfähigkeit nicht darum, sich zu verbiegen. Aus einem introvertierten Menschen wird gewiss kein Partylöwe. Aber es kann zum Beispiel der Schüchterne seine extrovertierte Seite trainieren, wenn der Job es erfordert, hin und wieder in der Öffentlichkeit zu stehen. Generell gibt es ja sehr unterschiedliche Persönlichkeitsprofile, die mehr oder weniger gut zu einer beruflichen Tätigkeit passen. Der perfekte Mensch existiert ohnehin nicht, und das ist auch gut so. Jede Charaktereigenschaft kann je nach Situation mal von Vor- und mal von Nachteil sein. Jedes Unternehmen wie auch unsere gesamte Gesellschaft profitiert von der psychologischen Vielfalt der Menschen, die in ihrer Unterschiedlichkeit eine breit gefächerte Palette an Aufgaben gemeinsam anpacken können und sich gegenseitig ergänzen wie auch bereichern. Idealerweise können wir unsere Arbeit so (mit-) gestalten, dass sie unserem Wesen am ehesten entspricht. Und umgekehrt lassen sich berufliche Nischen, die bislang weniger zu uns passten, als Herausforderung sehen, in der wir uns ausprobieren und in der wir wachsen können.