Balz Stückelberger ist Geschäftsführer der Arbeitgeber Banken – einem Verband, der sich aktiv für attraktive und konkurrenzfähige Rahmenbedingungen des Schweizer Finanzplatzes einsetzt. Gerade wenn es um Arbeitsrechtsfälle aus der Praxis geht, ist Balz «the man to ask». Ein Interview.
Grundsätzlich stellen sich in der Arbeitsrechtspraxis bei Mitarbeitenden 50+ die gleichen Fragen wie bei allen anderen auch. Eine viel diskutierte Besonderheit bei älteren Mitarbeitenden betrifft jedoch den Kündigungsschutz. In der Schweiz herrscht zwar Kündigungsfreiheit. Gegenüber älteren, langjährigen Mitarbeitenden besteht aber eine erhöhte Fürsorgepflicht.
Eine Kündigung aus heiterem Himmel kann bei älteren, langjährigen Mitarbeitenden missbräuchlich sein. Das Bundesgericht hat verschiedene Massnahmen definiert, die gegenüber diesen Mitarbeitenden anzuwenden sind. Dazu gehört zum Beispiel eine rechtzeitige Vorankündigung der Entlassung oder die Prüfung einer alternativen Anstellung im Betrieb. Ab welchem Alter und bei wie vielen Dienstjahren diese Pflichten zum Tragen kommen, lässt sich leider nicht genau und allgemein sagen. Es ist aber sicher ratsam, bei beabsichtigten Kündigungen von Mitarbeitenden 50+ im Einzelfall zu prüfen, ob eine erhöhte Fürsorgepflicht besteht.
Ein wichtiges Thema ist auch der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Mitarbeitenden. Das ist zwar auf den ersten Blick keine arbeitsrechtliche Fragestellung. In modernen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) finden sich aber vermehrt Bestimmungen dazu. So haben wir zum Beispiel im GAV der Bankbranche einen ganzen Abschnitt über die Bedeutung des Wissens und der Erfahrung von älteren Mitarbeitenden formuliert. Darin ist auch ein Anspruch auf regelmässige Entwicklungsgespräche enthalten, die ab Alter 45 alle fünf Jahre stattfinden sollen.
Es gibt hier keine besonderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Wenn sich Arbeitgebende und Arbeitnehmende einig sind und die Gesundheit mitspielt, kann auch eine 100-jährige Person angestellt werden. Der Arbeitgebende muss bei älteren Mitarbeitenden natürlich dem Gesundheitsschutz besondere Beachtung schenken.
Eine Besonderheit gilt für die Arbeitslosigkeit: Wer im Rentenalter die Stelle verliert, kann keine Leistungen der Arbeitslosenversicherungen (ALV) beziehen. Auf der anderen Seite müssen nach der Pensionierung auch keine ALV-Beiträge mehr bezahlt werden.
Sozialversicherungsrechtlich ist es ohne Weiteres möglich, über das Pensionierungsdatum hinaus zu arbeiten. Ich empfehle aber in jedem Fall, die persönliche Vorsorgesituation und auch die steuerlichen Folgen einer Weiterarbeit zu klären. Je nachdem ist es sinnvoll, die Rente aufzuschieben, wenn weiterhin ein Erwerbseinkommen bezogen wird. Es ist aber auch möglich, die Rente zu beziehen und gleichzeitig weiterzuarbeiten.
Bei der AHV kann der Rentenbezug bis zu fünf Jahre aufgeschoben werden. Die Rentenleistungen sind dann ab Bezugsdatum entsprechend höher. Wer über das Pensionierungsdatum hinaus arbeitet, muss weiterhin AHV-Beiträge einzahlen. Bisher wurden diese Beiträge aber nicht angerechnet. Mit der AHV-Reform wird es nun aber möglich, durch zusätzliche Beiträge allfällige AHV-Lücken aufzufüllen. Auf Einkommen bis 1’400 Franken pro Monat oder 16’800 Franken im Jahr müssen keine AHV-Beiträge bezahlt werden. Diese Freigrenze gilt pro Arbeitsverhältnis, was besonders für pensionierte Mitarbeitende mit mehreren Teilzeitverträgen interessant ist.
Bei der Pensionskasse kommt es auf die Vorsorgelösung an. Je nach Pensionskasse ist es möglich, die Rente aufzuschieben und weiter einzuzahlen. Hier ist eine rechtzeitige Abklärung mit der Pensionskasse zwingend notwendig.
Mit 70 endet spätestens der aufgeschobene Rentenbezug. Ab diesem Moment werden also Renten bezogen und Einkommen erzielt, was zu einer höheren Steuerbelastung führen kann. Ansonsten gilt auch ab 70 weiterhin freie Fahrt aus arbeitsrechtlicher Sicht. Der allenfalls einzige, limitierende Faktor ist die Gesundheit.
Der Gang in die Selbständigkeit ist eine beliebte und auch häufig gewählte Form der Weiterarbeit nach der Pensionierung. Viele wollen nicht mehr angestellt sein und schätzen die Freiheit, aber auch die steuerlichen Möglichkeiten der Selbständigkeit. Aber Achtung: Nicht jede Person, die sich selbständig macht, ist es auch tatsächlich. Das heisst, ob eine Selbständigkeit oder ein Arbeitsverhältnis vorliegt, entscheidet man nicht selbst, sondern die Ausgleichskasse, und zwar nach objektiven Kriterien. Wer nach der Pensionierung einfach beim ehemaligen Arbeitgeber als «Selbständige» oder «Selbständiger» weiterarbeitet, wird Mühe haben zu beweisen, dass sie oder er tatsächlich betriebswirtschaftlich unabhängig ist. Ich empfehle daher, den Status der Selbständigkeit durch die Ausgleichskasse abzuklären und bestätigen zu lassen.
Da gibt es nur Eines: Die Thematik mit der vorgesetzten Person oder mit dem HR aktiv ansprechen. Wir erleben gerade einen ziemlichen Wandel im Karriereverständnis und der Karrierewege. Die Vorstellung einer linearen Karriere kommt immer mehr ins Wanken und neue Formen halten Einzug (Altersteilzeit, Bogenkarrieren etc.). Dabei handelt es sich aus Sicht der Arbeitgebenden nicht einfach um einen HR-Modetrend, sondern um ein zentrales Element im Rahmen der Fachkräftestrategie. Das entsprechende Bewusstsein ist aber noch nicht überall geschärft, weshalb ein Gespräch hilfreich sein kann.
In der Schweiz gibt es keinen besonderen Diskriminierungsschutz für ältere Mitarbeitende. Das bedeutet aber nicht, dass sie schutzlos sind. Das Arbeitsrecht sieht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden und den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, der von allen Mitarbeitenden und namentlich von älteren Mitarbeitenden in Anspruch genommen und auch eingeklagt werden kann. Zudem kann eine Kündigung allein aus Gründen des Alters missbräuchlich sein. Bei potenziell diskriminierenden Situationen empfehle ich, wenn immer möglich, zuerst das Gespräch zu suchen; das ist meist erfolgversprechender als eine gerichtliche Auseinandersetzung.
Ich habe mich vor etwas mehr als zehn Jahren entschieden, meine damalige «sichere» Stelle mit guten Perspektiven zu kündigen, um den Arbeitgeberverband der Banken aufzubauen. Es gab damals viele Unsicherheiten. Ich habe aber vor allem die Chance gesehen, eine Organisation nach meinen Vorstellungen zu entwickeln und zu gestalten. Den Entscheid habe ich bis heute nicht bereut.