Wer die besten Talente unabhängig von Altersgrenzen beschäftigt, macht sich unabhängiger vom Fachkräftemangel. Denn Menschen mit mehr Berufserfahrung haben den Unternehmen einiges zu bieten.
«Auch reifere Berufsleute (Ü-50) sind bei uns sehr willkommen», stand kürzlich in einem Stelleninserat für einen Verkaufsprofi im Aussendienst. Ähnliche Formulierung dürften Recruiter:innen in Zukunft häufiger verwenden. Die mehreren Jahre Verkaufserfahrung, die im Inserat gewünscht werden, bringen Stellenbewerberinnen und -bewerber in diesem Alterssegment bestimmt mit – häufig mit einer grossen Portion Motivation und Loyalität.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird mittel- und längerfristig zunehmen: Nicht nur ist der Beschäftigungsindikator der Konjunkturforschungsstelle der ETH im dritten Quartal 2021 angestiegen. Den Forscher:innen zufolge sind die Beschäftigungserwartungen in den Umfragen bei mehr als 4500 Unternehmen in den meisten Branchen derzeit so positiv wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt ist das eine erfreuliche Perspektive. Allerdings betonen Expert:innen seit Jahren, dass auch der Fachkräftemangel bei vielen Unternehmen weiter ansteigen wird – auch, weil die Belegschaften immer älter werden: Bis zum Jahr 2030 wird der Anteil der Menschen im jungen und mittleren Alter schrumpfen und der Anteil der älteren Menschen steigen. Dies prognostiziert u.a. die Studie «Der Einfluss des demografischen Wandels auf die Wirtschaftsstruktur der Schweiz» des SECO und der Uni Basel von 2019.
«Eine Herausforderung der demografischen Entwicklung wird der Verlust von Fachwissen durch die Pensionierung der Baby-Boomer sein. Die Abnahme verfügbarer Arbeitskräfte kann zu einem Arbeitskräftemangel führen», sagt Conny Wunsch, Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel.
Sie weist jedoch darauf hin, dass das Thema im Zusammenhang mit dem Strukturwandel gesehen werden muss: «Die Digitalisierung führt zu einer Abschwächung des Arbeitskräftemangels in schrumpfenden Bereichen und einer Verstärkung des Arbeitskräftemangels in wachsenden Bereichen.» Zudem verändere die Digitalisierung die Anforderungen an die Mitarbeitenden, weshalb Flexibilität und Lernbereitschaft noch wichtiger werden.
Aus Sicht von Conny Wunsch können Unternehmen einiges tun, um sich gegen den Fachkräftemangel im eigenen Betrieb zu wappnen: Zum Beispiel indem sie die ungenutzten Potenziale bei Frauen nutzen, zum Beispiel ganz einfach, indem Unternehmen es ihnen leichter machen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Oder indem sie stärker in die älteren Mitarbeiter:innen investieren, etwa mit frühzeitiger und kontinuierlicher Weiterbildung, auch im Alter. Auf der Seite «Weiterbildung für Mitarbeitende» haben wir weiterführende Infos zum Thema für euch aufgeschrieben.
Auch das längere Verbleiben älterer Arbeitskräfte im Betrieb sehen Fachleute als Chance, dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen – und den Wissensverlust durch das Ausscheiden älterer Mitarbeitender hinauszuzögern. In dieser Hinsicht steht die Schweiz recht gut da: Bereits 2019 befragte das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern rund 400 Arbeitgebende zu diesem Thema. Rund die Hälfte beschäftigte bereits Personen im Rentenalter, eine Mehrheit der befragten Unternehmen kann es sich für die Zukunft vorstellen. Bereits jetzt unterstützen viele Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden mit Entwicklungs- und Weiterbildungsangeboten und angepassten Arbeitsmodellen, um sie im Unternehmen zu halten. Ein professionell umgesetztes Generationenmanagement, zu diesem Ergebnis kam die Studie, trägt dazu bei, die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten, die Diskriminierung von älteren Mitarbeitenden sowie Vorurteile abzubauen und den Wissenstransfer zwischen den Generationen sicherzustellen. Da muss sich noch einiges bewegen in der Schweiz. Denn nur 15 Prozent der Männer über 65 Jahre waren laut den Zahlen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2020 noch erwerbstätig, bei den Frauen waren es nur sieben Prozent. Das Potenzial ist also riesig.
«Das Rentenalter gibt es hauptsächlich noch in der Politik. Im Arbeitsmarkt spricht man nur noch von Employability», sagt Pascal Scheiwiller. Als CEO der Unternehmensgruppe von Rundstedt weiss er, wovon er spricht. von Rundstedt bietet Outplacements an und berät Unternehmen zu den Themen Agilität, Talententwicklung und interne Mobilität. «Solange jemand Employability (Arbeitsfähigkeit) hat, macht eine Anstellung Sinn. Die Beschäftigung über das Rentenalter hinaus ist dann eine Win-win-Situation», so Scheiwiller. Die Unternehmen profitieren weiterhin von der Kompetenz und dem Netzwerk der Beschäftigten. Personen, die über das reguläre Pensionierungsalter hinaus tätig sind, geniessen häufig die Möglichkeit einer flexiblen Beschäftigung im Alter, was nachweislich eine positive Wirkung auf die mentale Gesundheit und Fitness hat und vielen einfach Spass macht. Gesellschaftlich trägt die Altersbeschäftigung zur Abfederung demografischer Effekte bei und fördert die Augenhöhe und das Miteinander der Generationen.
Pascal Scheiwiller zufolge wird sich der Fachkräftemangel in Zukunft weiter zuspitzen. Es gehe dabei nicht um einzelne Fachprofile, sondern ganz generell um Menschen mit Future Skills. Also Fähigkeiten, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. «Es braucht Menschen, die mit der zunehmenden Veränderungsdynamik und Wissensagilität umgehen können. Future Skills sind also primär Softskills, Lernagilität und Flexibilität.» Pascal Scheiwiller betont, dass die Gruppe Ü50 oder Ü55 häufig unterschätzt werde, was diese Fähigkeiten angehe. «Bei den Ü50 oder Ü55 kommt noch dazu, dass ein Unternehmen auf viel mehr Loyalität und Stabilität zählen kann als bei jüngeren Arbeitnehmenden, welche durch ihre Karriereambitionen eine viel grössere Forderungshaltung entwickeln.» Und es ist auf einem Markt naturgemäss ein Unterschied, ob man zu «den Vielen» oder zur «Mangelware» gehört.
Um die übrigens sehr heterogene Zielgruppe «Ältere» abzuholen, können Unternehmen einiges tun. Zum Beispiel anders rekrutieren. Pascal Scheiwiller spricht lieber von strategischem Workforce Management. Statt Personal für offene Stellen zu suchen, solle man nach Talenten Ausschau halten. Schon jetzt ist auf den Websites von Tech-Firmen oder anderen agilen Unternehmen häufig der Hinweis zu lesen, dass das Unternehmen grundsätzlich offen für neue Talente sei. Agile Unternehmen schaffen neue Stellen für die Schlüsseltalente, die sie finden.
Ein weiterer Tipp von Pascal Scheiwiller ist, Branchengläubigkeit und Fachfokus abzulegen und besser nach Menschen zu suchen, die neugierig sind und Lernagilität mitbringen. Oder eben Quereinsteiger:innen, Neueinsteiger:innen, Ü50 oder sogar Ü60 anpeilen. «Attitude vor Skills (Haltung vor Fähigkeiten), denn Skills kann sich jemand aneignen, Attitude aber nicht», fasst Scheiwiller zusammen.
Schreibt uns eine Mail an hallo@loopings.ch oder ruft uns unter der Nummer 044 586 10 13 an, wenn ihr euch mit Loopings über das Thema austauschen wollt. Wir freuen uns auf euch!
Arbeitsmarktökonomin Conny Wunsch hat einige Punkte zusammengestellt, damit die älteren Mitarbeitenden in den Unternehmen länger produktiv sein können. Dazu gehören:
die altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung gemäss individuellen Bedürfnissen
flexible Beschäftigungsmöglichkeiten
die Nutzung komparativer Vorteile durch altersabhängige individuelle Aufgabengestaltung
frühzeitige Weiterbildungen
der Erhalt der Motivation durch abwechslungsreiche Aufgabengestaltung
die Nutzung des Erfahrungspotenzial immer dann, wenn es Sinn macht