Angesichts des nicht zu leugnenden Fachkräftemangels wird die erfolgreiche Rekrutierung junger Nachwuchskräfte zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Dabei schneidet der Nachwuchs nicht allzu gut ab: ständig online, wenig an Karriere interessiert und obendrein noch unverschämt. Um dem beizukommen, wird seit einiger Zeit ein neues Konzept aufgerufen: «Generationsgerechte Führung». Was ist davon zu halten?
«Generationsgerechtes Führen»: Die nächste Sau scheint gefunden, die sich mit grossem Hallo durch’s Führungskonzepte-Dorf treiben lässt. «Generationsgerechtes Führen» geht davon aus, dass Führungskräfte ihren bislang praktizierten Führungsstil nicht mehr auf die jungen Menschen anwenden können, die zunehmend in die Unternehmen und Organisationen eintreten. Diese Generation bedürfe vollkommen anderer Führung, die sehr viel weniger anweisend sein dürfe, signifikant mehr Gestaltungsspielräume zulasse und praktisch fortlaufend Feedback biete. Denn, so die Argumentation, mit der neuen «Smart Generation» bzw. der «Generation Y» komme ein Wertewandel ins Spiel, der handfeste Auswirkungen auf die Entscheidung für oder gegen einen potenziellen Arbeitgeber habe. Wenn also die Unternehmen an jungen Fachkräften interessiert seien, müssten sich die Führungskräfte an die neue Erwartungshaltung anpassen und von nun an ihr Führungshandeln generationsgerecht gestalten.
Mindestens zwei Argumente, die angeführt werden, können auf den ersten Blick Plausibilität beanspruchen: der «War for Talents» sowie innerbetriebliche Konflikte, die sich letztlich auf gegenseitiges Unverständnis von Angehörigen verschiedener Generationen zurückführen lassen.
Dass die Unternehmen auf junge Nachwuchskräfte angewiesen sind, ist das, was man eine Binse nennt. Von ähnlichem Charakter ist die Erkenntnis, dass die Werte, Vorstellungen und Einstellungen junger Menschen von denen der älteren Generationen abweichen. Ebenso wenig ist zu leugnen, dass es zunehmend Engpässe in besonders gesuchten Berufsgruppen gibt. Händeringend werden Naturwissenschaftler, Ingenieure, IT-Spezialisten, Ärzte, Pflegepersonal gesucht, die Aufzählung liesse sich fortführen.
Ganz klar: Die Unternehmen müssen attraktiv sein, um junge Kräfte mit langfristiger Beschäftigungsperspektive regelrecht anzulocken, was insbesondere für Unternehmen gilt, die ihren Sitz fern von attraktiven Metropolen haben. Fast scheint es, als sei ein Wettbewerb mit umgekehrten Vorzeichen entstanden: Haben sich bislang die Menschen bei den Unternehmen beworben, so bewerben sich nun die Unternehmen bei den Menschen.
Dabei erweist sich das reflexhaft angesetzte Argument «Geld» zunehmend als überraschend unwirksam. Personaler berichten, dass die jungen Bewerber ein deutlich höheres Interesse an einer ausgewogenen Work-Life-Balance haben und Gehaltseinbussen im Tausch für mehr Freizeit in Kauf nehmen; dass sie seltener nach den Karrierepfaden fragen und ohnehin wenig geneigt sind, starre Hierarchien zu akzeptieren; und dass sie einen stark kommunikativen Führungsstil mit permanentem Feedback in einem hoch vernetzten Umfeld erwarten. Zumindest auf den ersten Blick gute Argumente dafür, dass die Führungspraxis an den neuen Gegebenheiten auszurichten ist. Weil aber neben den jungen Nachwuchskräften auch weiterhin Vertreter der älteren Generationen im Unternehmen tätig sind, auf die niemand verzichten will und kann, erscheint die Idee einer generationsgerechten Führung zumindest auf den ersten Blick als plausibel.
Leider zeigt sich vielerorts, dass eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Generationen nicht vorausgesetzt werden kann. Pointiert ausgedrückt attestieren Angehörige der älteren Generationen in seltener Einigkeit den jungen Nachwuchskräften erhebliche fachliche Mängel bei gleichzeitig forderndem bis unverschämtem Auftreten. «Die wollen für alles ein ‚Like‘, denn das kennen sie nicht anders», so und ähnlich lauten die ironischen Kommentare älterer Kollegen. Permanent seien die jungen Leute in sozialen Medien aktiv und deshalb unkonzentriert, undiszipliniert und faul. Ihnen gehe es vor allem um Spass an der Arbeit, die ohnehin frühestens an zweiter Stelle steht. Freizeit und Privatleben würden keinesfalls dem Beruf untergeordnet.
Anders herum lautet die Pauschaldiagnose der Jüngeren, dass sich eine Führungskaste älterer Menschen an ihre tradierten Inhalts- und Machtpositionen kralle, die komplett ungeeignet für die Herausforderungen einer digitalisierten «VUCA-Welt» seien.
Ergebnisse von Befragungen scheinen diese Konfliktlinie zu bestätigen. In Publikationen finden sich immer wieder tabellarische Gegenüberstellungen, die die «Digital Natives» bzw. (hier synonym verwendet) die «Generation Y» mit den älteren, in den Unternehmen tätigen Generationen vergleichen. Genannt werden die «Nachkriegsgeneration», die «Babyboomer» und die «Generation X» (manchmal auch «Generation Golf» genannt). Naturgemäss gehören Führungskräfte diesen (älteren) Generationen an. Und so landet der Diskurs beim Postulat «generationsgerechter Führung», schon deshalb, um generationsbedingte Konflikte zu vermeiden.
Ob diese Konflikte tatsächlich stattfinden, sei für den Moment dahingestellt. Tatsache ist, dass aus diesen Prämissen sehr reale Vorschläge für konkretes Führungshandeln abgeleitet werden. Tendenziell geht es um einen nachsichtigen Umgang mit den jungen Leuten, deren Bedürfnisse aufzugreifen seien. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Adressaten der Vorschläge, also die Führungskräfte, überwiegend den älteren Generationen zuzuordnen sind. Ich überspitze: Den Älteren wird also eine fürsorgliche Vereinnahmung empfohlen, um die jungen Frechdachse und Nichtskönner dennoch ans Unternehmen zu binden, denn vielleicht lässt sich ja doch noch was machen – ohne Nachwuchskräfte geht es schliesslich nicht. Nochmals überspitzt steht die Frage im Raum: Was müssen wir ändern, damit wir möglichst wenig ändern müssen?
Es ist festzustellen, dass auch die Erfinder des Konzepts «generationsgerechter Führung» in der Regel den älteren Generationen angehören. Hier scheint das Bedürfnis besonders ausgeprägt zu sein, Unterschiede herauszustellen. Aber gibt es diese Unterschiede tatsächlich? Korrelieren sie, wenn sie denn überhaupt existieren, wirklich mit der Generationszugehörigkeit? Und wer sagt, dass die Nachwuchskräfte ihre Einstellungen weiterhin stabil halten? Hier und da kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir die xte Strophe des ewigen Lieds vom Untergang des Abendlandes hören, ein Lied, das seit mindestens 2.500 Jahren gesungen wird, wie ein berühmtes Sokrates-Zitat belegt.
«Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süssspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.» Sokrates, * 5. Jahrhundert v. Chr.
Zu allen Zeiten waren mehrere Generationen gleichzeitig in Organisationen tätig, ohne dass generationsgerechtes Führen eine Rolle gespielt hätte. Haben wir bisher etwas Wesentliches übersehen? Ich denke, dass das nicht der Fall ist. Vielmehr scheint es mir, als sei die Diskussion um Geburtsjahrbedingte Präferenzen – nichts anderes liegt nämlich vor – einerseits an unzutreffenden Annahmen orientiert und andererseits ohnehin die falsche Frage. Beginnen wir mit ersterem.
Die üblicherweise anzutreffenden Jahresschnitte, die die eine von der anderen Generation trennen, erscheinen bei genauerem Hinsehen als willkürlich. So werden die Babyboomer im Zeitraum 1956-1965 verortet, zwischen 1966-1985 wurde die Generation X geboren. Wer also beispielsweise das Glück – oder Pech – hatte, noch im Dezember 1965 geboren zu sein, ist demnach interessiert an Positionen und Karriere (häufig anzutreffende Attribute für Babyboomer), während die im Januar 1966 und damit 4 Wochen später geborene Person als Angehörige der Generation X zu Individualismus und sozialer Gleichgültigkeit neigt (wie die Generation X nicht selten typisiert wird)? Es ist eine empirische Tatsache, dass sich Menschen in ihren Werten, Einstellungen und Haltungen grundlegend unterscheiden, auch wenn sie derselben Generation angehören. Ebenso können Menschen in ihren Werten weitgehend übereinstimmen, auch wenn sie verschiedenen Generationen angehören. Was kommt als nächstes: Führung nach Blutgruppen?
Zudem wird allein das Lebensalter betrachtet. Ab dem Eintritt in das Erwerbsleben werden jedoch Aspekte wirksam, die sich signifikant auf Einstellungen und reales Verhalten auswirken. Ein beispielhaftes Szenario: Eine junge Frau, die per Geburtsjahr der «Smart Generation» zuzurechnen ist, wird Mutter. Plötzlich ist die Wohnung zu klein, bedarf es neuer Haushaltsausstattung, kommen vielfältige Kosten für das Kind hinzu: Schwer vorstellbar, dass sich ein eher hedonistischer Lebensstil uneingeschränkt mit der Übernahme von Verantwortung auch für andere vereinbaren lässt. Man muss es sich leisten können, Karriere blöd zu finden. Insofern ist es nicht der ohnehin ziemlich willkürliche Zeitschnitt, der Wertvorstellungen und am Ende auch die Erwartungen an Führung und Geführtwerden prägen: Es sind die persönlichen Lebensumstände mit ihren ganz handfesten Anforderungen. Und siehe da, schon finden sich erste Untersuchungen, die jene noch vor kurzem herausgestellten «Erkenntnisse» deutlich relativieren: Auch die Generation Y kommt in die Jahre. Und braucht – Geld.
Schon erste kritische Blicke zeigen also, dass bereits die Voraussetzungen des Konzepts einer generationsgerechten Führung fragwürdig sind. Doch das ist noch nicht alles.
Es ist ein eigentümlicher Zug der Diskussion, der die Idee eines generationsgerechten Führungsstils verknüpft mit einer deutlichen Abwertung der aktuell in die Berufswelt strebenden Nachwuchskräfte. «Die sind ganz anders, als wir es waren», höre ich von Führungskräften in den Unternehmen. Selbst wenn das zuträfe: Wollte nicht jede Generation ganz anders sein als jene, die sich schon etabliert hatten? Zumal gefragt werden muss, ob «die» wirklich so anders sind (sind sie nicht) und ob der Führungsstil überhaupt die richtige Frage ist (ist sie nicht!)?
Nur auf den ersten Blick ist der Appell, Führungsverhalten an (vermeintlichen) Bedürfnissen der Nachwuchskräfte auszurichten, Resultat von Fürsorge. Kopfschüttelnd werden einander Geschichten erzählt, die von Underperformern mit geradezu suchtartiger Appetenz nach Likes handeln. Überwiegend werden solche Narrative aus Einzelfällen oder aus fragwürdigen Untersuchungsdesigns bei ebenso fragwürdigen Repräsentanzkriterien abgeleitet. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich häufig um sehr kleine Grundgesamtheiten oder wenig gesicherte Umfrageergebnisse von Jobportalen. Doch sind es genau diese Haltungen, die die Aufmerksamkeit wegführen von den eigentlichen Herausforderungen, denen sich die Führungskräfte zuwenden müssten. Statt sich den nicht zu leugnenden Realitäten zu stellen, wird die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung auf vermeintliche Lösungen durch eher therapeutisierende Führungsstile reduziert.
Die Idee eines generationsgerechten Führungsstils wird immer fragwürdiger, je länger man darüber nachdenkt. Was unmittelbar dazu einlädt, nach den eigentlichen Motiven zu fragen. Meine Vermutung kann ich in einem einzigen Wort bündeln: Angst.
Die Menschen, die mittlerweile im Berufsleben ankommen, haben eine Welt ohne Internet, Facebook und Smartphone nicht mehr kennengelernt. Sie sind vernetzt, dauerkommunikativ – und sie bewegen sich in virtuellen Welten mit äusserst hoher Kompetenz und vollkommen unaufgeregter Selbstverständlichkeit. Das ist eine grossartige Voraussetzung, um massgeblich an den neuen Strukturen und Rahmenbedingungen mitzuwirken, die sich mit Agilität und kollaborativen Arbeitsformen über Unternehmensgrenzen hinweg entwickeln. Exakt hier vermute ich den eigentlichen Grund für die sich anbahnenden Konflikte.
Organisationen und Unternehmen praktisch aller Branchen sind vollkommen neuen Herausforderungen ausgesetzt. Zum ersten Mal wurden die ökonomischen und sozialen Kontexte innerhalb weniger Jahre aufgrund der Digitalisierung und Virtualisierung von Märkten, Prozessen und Strukturen vollkommen umgestaltet. Gerade das, was älteren Generationen stets einen Vorsprung vor den nachrückenden Kollegen gesichert hat, spielt nur noch eine nachgeordnete Rolle: die Erfahrung. Aber nicht nur, dass sich alles verändert hat und fertig: Change goes on. Tiefgreifende Veränderung findet immer wieder aufs Neue statt und das bei weiter zunehmender Geschwindigkeit. Wer meint, sich auf die neuen Gegebenheiten eingestellt zu haben und von nun an wieder in einen Trott zurückfallen kann, ist bald abgehängt. Die Meriten der Vergangenheit verlieren an Bedeutung.
Die Urangst der Älteren vor Marginalisierung und Entmachtung durch die Jüngeren hat damit eine neue Grundlage. Es steht zu vermuten, dass Menschen, die dort überlegen sind, wo zunehmend die entscheidenden Auseinandersetzungen auf den Märkten stattfinden, nicht ohne weiteres gewillt sind, einer allein auf Alter und Erfahrung gründenden Hierarchie zu folgen, was übrigens nicht nur für junge Menschen gilt. Wenn meine Lesart auch nur teilweise zutrifft, dann muss die Idee des generationsgerechten Führens als Versuch gelten, zu retten, was zu retten ist.
Alternativ wäre es allerdings auch möglich, loszulassen. Neugier, Offenheit und Lernbereitschaft sind Eigenschaften, zu denen alle Menschen in der Lage sind – unabhängig von ihrer Generationszugehörigkeit. Im Kern ginge es darum, gemeinsam und generationsübergreifend neue Antworten auf neue Herausforderungen zu finden. Wie wäre es, wenn den jeweils individuellen Kompetenzen Raum gegeben würde? Wenn die Gelegenheit genutzt würde, um alte Zöpfe abzuschneiden, die ohnehin längst durch sind? Neue Interpretationen von Führung und Selbstführung könnten entstehen. Was für eine Bereicherung, wenn nicht generationsgerecht geführt, sondern generationsübergreifend kooperiert würde.
VUCA. Sinn. Agilität. Navigationshilfen zur Lösung alltäglicher und nicht alltäglicher Aufgaben in Unternehmen