Streift der aufmerksame Zuhörer derzeit durch die Chefetagen der Welt, wird er die Lobgesänge auf das agile Arbeitswunder vernehmen. «Wir sind nun auch endlich agil!», schallt die Erfolgsmeldung in Richtung der Shareholder. Als Begründung für die Einführung agiler Methoden kommt, wie aus der Pistole geschossen: «Na, agil macht alles schneller und billiger!» – ein Lobgesang auf das agile Arbeiten. Aber ist das wirklich so?
Vor knapp zwanzig Jahren wurde genau dieses Loblied von Führungsetagen auf Projektmanagement gesungen und dieses einhergehend mit Umstrukturierungen und nicht selten drastischen Einsparungen eingeführt. Insgesamt ist es laut der Studie PMI Pulse of the Profession 2016 (PMI Pulse oft he Profession. 8th Global Project Management Survey) jedoch noch immer stark verbesserungswürdig. Nur ein Sechstel der Unternehmen hat heute eine hohe Reife im Projekt- und Portfoliomanagement erreicht. Dies liegt nicht daran, dass Projektmanagement kein hilfreiches Werkzeug ist, sondern dass es häufig unzureichend und bisweilen an den falschen Stellen genutzt wird.
Dieses Schicksal droht nun auch den agilen Arbeitsmethoden, die in ihrem Anwendungsbereich unerlässlich, in unpassenden Anwendungsbereichen jedoch kontraproduktiv sein können. Klassisches Projektmanagement dient der Absicherung eines Investments in einer risikoreichen und komplexen Arbeitsumgebung, um einen Nutzen für das Unternehmen zu erzeugen. Wendet man Projektmanagement in Bereichen an, in denen weder ausreichend Risiko noch Komplexität vorhanden ist, verbrennt das Unternehmen Geld. Dies können zwischen fünf und zwanzig Prozent des Projektbudgets sein. Gefährlicher ist es, wenn das Projektmanagement nicht ausreichend entwickelt, die Projektumgebung aber risikoreich und komplex ist. Hier drohen massive Kosten- und Zeitüberschreitungen, bis hin zum kompletten Fehlschlag eines Projekts. Im Projektbereich gibt es hierzu hinreichend Erfahrung und Studien, die dies belegen. In der agilen Welt fehlt diese langjährige Erfahrung bislang, jedoch zeichnen sich dieselben Trends ab.
Im Vergleich zum Projekt, das von einer ausreichenden Planbarkeit (deterministische Arbeitsmethodik) einer Umgebung ausgeht, ist das Anwendungsgebiet des agilen Arbeitens eine sich ungemein schnell wandelnde und noch komplexere Arbeitswelt. In dieser ist langfristige Planung keine Option und einzig das Handeln aus der gerade gemachten Erfahrung heraus (empirische Arbeitswelt) hat eine Aussicht auf Erfolg.
Die Gefahr des Scheiterns ist um ein Vielfaches höher als in der althergebrachten Arbeitswelt der Linie oder des Projekts, da der Anwendungsbereich so viel unbeständiger und die Möglichkeiten sowie die Folgen des Scheiterns unabsehbar sind. Nach der Stacey-Matrix (nach Ralph Douglas Stacey) wird die Arbeitsumwelt nach der Klarheit der notwendigen Prozesse und der Klarheit des herzustellenden Produkts eingeordnet. Das agile Arbeiten steht dabei zwischen dem Projekt auf der einen und dem Scheitern durch das Chaos auf der anderen Seite.
Die Übergänge der Eignung der Methoden «Projekt» und «Agil» sind hier nicht scharf trennbar, sondern fliessend, wobei die Methoden an sich grundverschieden sind.
Sowohl in der Literatur als auch im sprachlichen Umgang taucht der Begriff «Agiles Projekt» auf. Dies ist in zweierlei Hinsicht unglücklich, da auf der einen Seite agiles Arbeiten für eine weitere Variante des Projektmanagements gehalten werden könnte und auf der anderen auch der Einsatzbereich der Agilität auf den des Projekts übertragen wird. Beides ist bei der Implementierung agiler Methoden fatal.
Wird eine agile Methode auf ein Umfeld angewandt, in dem die Prozesse und das herzustellende Produkt klar sind, wird die Methode als zu starr und viele Werkzeuge werden als unsinnig empfunden. Die an sich sehr wirksame Methode wird in einer ungeeigneten Umgebung «verbrannt».
Werden die Strukturen eines Projekts und einige Werkzeuge aus der agilen Arbeit als «Agiles Projekt» in einer agilen Umwelt angewandt, versucht das Management, mit einem Hammer eine Schraube in die Wand zu schlagen. Das kann klappen, muss aber nicht. Die begriffliche Trennung von agiler Arbeit und Projekt ist somit geboten. Der Begriff «Agile Unternehmung» ist hier treffender.
Auch bei den Begriffen «Methode» und «Werkzeug» ist Vorsicht geboten, werden sie doch oft synonym verwandt. Die agile Methode stellt das Rahmenwerk dar, in der agiles Arbeiten möglich ist. In ihr werden Prozesse, Rollen, Produkte und Voraussetzungen definiert, nach denen agiles Arbeiten erst möglich ist. Agile Werkzeuge sind Hilfsmittel, damit agiles Arbeiten effizienter und effektiver wird. Ein Kanban Board, das den Status verschiedener Aufgaben darstellt, ist ein agiles Werkzeug, keine Methode. Die Nutzung eines Kanban Boards macht einen Prozess nicht agil.
In vielen Unternehmen herrscht jedoch die Vorstellung, dass wenn nur ein paar agile Werkzeuge und Namen eingeführt werden, der gesamte Prozess plötzlich agil ist. Das ist ein Fehlschluss, denn, ähnlich einem Getriebe, sind bei agilen Methoden alle Zahnräder notwendig. Will ein Unternehmen agil arbeiten, muss es eine agile Methode implementieren und komplett leben. Die Nutzung agiler Werkzeuge in klassischen Arbeitsumgebungen, wie das Kanban-Board oder die User Story, kann in vielen Fällen der Nutzung einer agilen Methode vorgezogen werden, weil zum Beispiel kein agiles Umfeld vorhanden ist und somit die Notwendigkeit fehlt.
Ist eine Arbeitsumgebung sehr unbeständig, sind die notwendigen Arbeitsschritte zum Teil unklar und ist auch das gewünschte Endprodukt zum Teil unklar, beginnt die Stunde der agilen Methoden.
Die elementaren Varianten richten sich zumeist an ein einzelnes Team und versprechen die grösste Effizienz und Effektivität. Scrum ist in diesem Bereich die wohl bekannteste Methode. Die schlichte Direktheit der Methode erlaubt ein Arbeiten in fast chaotischen Umgebungen, indem dem Team ein festes Korsett geboten wird, das einen Fortschritt aufgrund der sofortigen Berücksichtigung von gemachten Erfahrungen erlaubt.
Sehr komplexe Umgebungen mit vielen Schnittstellen und unklaren Kundenanforderungen sind prädestiniert für die Anwendung agiler Methoden. Als erstes sind hier die klassischen Felder agilen Arbeitens zu nennen: die Erstellung, Anpassung und Erweiterung von Software. Wichtig sind hier klare und abgrenzbare Schnittstellen, was die mittlerweile modulare Erarbeitung von Software sicherstellt. In steigendem Masse kommen aber auch viele Formen der Produktentwicklung, zum Beispiel im Bereich Automotive oder Telekommunikation, im klassischen Projektmanagement an ihre Grenzen und müssen agil abgearbeitet werden.
Werden die Aufgaben so gross, dass sie grosse (ab zehn Personen) oder mehrere Teams benötigen, ist eine skalierte agile Methode angeraten. Hier werden mehrere Teams untereinander agil vernetzt, um ihre Arbeit zu koordinieren und in die richtige Richtung zu lenken. Eine Skalierung hat immer eine Reduktion von Effizienz und ein höheres Risiko zur Folge, da Eskalationen indirekter und langfristiger werden. Skalierte agile Systeme, wie Scrum of Scrums, LeSS, SaFe oder Nexus, eignen sich daher etwas schlechter für agile Umgebungen, schaffen aber einen grösseren Arbeitsdurchsatz.
Das klassische Arbeitspaket in einem Projekt kann durchaus auch agil abgehandelt werden, wenn allen Beteiligten klar ist, dass das Ergebnis noch nicht absehbar ist. Agilität liefert das Beste für die gegebene Zeit und ein festes Budget. Dieser Kulturwandel ist für viele die schwierigste Hürde in der Anwendung agiler Methoden. Gerade auch die Planungszyklen eines Projekts lassen sich sehr gut über die Anwendung einer agilen Methode abarbeiten. Beide Kombinationen von agiler Methode und Projekt nennt man «Hybrides Projektmanagement». Gerade Projektmethoden mit einer «Rolling Wave Planning»-Methodik, wie PRINCE2 oder PMI, lassen sich leicht mit agilen Methoden wie Scrum kombinieren.
«Wann muss ich denn nun agile Methoden anwenden?», ist eine häufige Frage im Berateralltag. Die typische Beraterantwort: «Das kommt darauf an.» Das beste Vorgehen ist die Anwendung agiler Werkzeuge, wo sie sinnvoll erscheinen. Nach und nach werden sich agile Prinzipien manifestieren und weitere agile Methoden in den Werkzeugkasten aufgenommen. Ein Coach und Berater, zum Beispiel ein Scrum Master, kann den Wandel vorantreiben und einen unvorteilhaften Rückfall in alte Prozesse verhindern. Wenn eine agile Komponente (noch) keinen Sinn macht, sollte diese auch nicht übernommen werden. Agil ist kein Dogma, sondern eine von vielen Methoden und nicht immer die passende, aber eine der interessantesten.