Mit Andrea Keller begrüssen wir eine Kreativ-Komplizin und vielseitige Macherin bei Loopings, die sich gern da einbringt, wo etwas in Bewegung ist, spannende Geschichten erzählt und Fragen gelebt werden. Neben ihrem Engagement bei uns ist sie mit Text-, Kultur- und Bildungsprojekten sowie als Schreibcoach unterwegs. Bernadette hat mit Andrea gesprochen.
Vorweg: Vielen Dank für das herzliche Willkommen, die offene Tür. Es ist eine Freude, diesen Schritt zu machen und bei euch einzusteigen. Was mich dazu bewegt hat? Da wären das Thema und die Mission an sich. «Loopings unterstützt Menschen ab der Lebensmitte dabei, ihre berufliche Zukunft selbstbestimmt und kreativ zu gestalten.» – Allein schon in diesem Satz finde ich mehrere Wörter, die mich positiv «anzupfen»: Da stecken mit «Loopings» Dynamik und Bewegung mit drin, auch Tempo und Bauchkribbeln. Zudem treffe ich auf Menschen, das Leben, die zweite Lebenshälfte und Gestaltung. Mir begegnen die Worte Zukunft, Selbstbestimmung und Kreativität.
Auch weitere Loopings-Zutaten wie Dialog und Vernetzung finde ich bedeutsam – und die Würdigung von Vielfalt, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das alles macht irrsinnig viel Sinn. Für «Loopings» als Arbeitgeber spricht auch noch anderes: Hier ist es mir möglich, im Teilzeitpensum und neben meiner Selbständigkeit, einer spannenden Tätigkeit nachzugehen; mit Freiraum, vorbildlichen Arbeitsbedingungen sowie -Tools, die mich fit halten. In meiner aktuellen Lebens- und Arbeitssituation kommt es mir auch sehr entgegen, dass ich zwar einen attraktiven Desk in Zürich zur Verfügung habe, da aber nicht angezurrt bin, vieles «remote» machen kann, flexibel bin.
Das ist wahr, unser erster Kontakt liegt schon länger zurück. Von 2017 bis 2020 durfte ich als Stv. Leiterin ein modernes historisches Museum in Winterthur mitaufbauen, das sich dem Thema Arbeit verschrieben hat bzw. den Menschen als Schaffenden in den Mittelpunkt stellt, und zwar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damals hatte ich also – was spannende Personen und Initiativen rund um das Thema Arbeit angeht – die Nase im Wind. Irgendwann hat eine Bekannte die Neustarter-Stiftung erwähnt. Da habe ich die Fährte aufgenommen, mich bei dir gemeldet. Bereits unsere erste Begegnung war sehr erfreulich, und der Austausch hat lange vor meinem Start hier Früchte getragen. Ihr habt dann nämlich mit einer Gruppe von beruflichen Neustarter:innen unsere Ausstellung in Winterthur besucht. Etwas später warst du bei einem Podiumsgespräch bei mir zu Gast.
Genau. Zusammen mit Mathias Morgenthaler (Beruf + Berufung) konnte ich zudem eine Schreibwerkstatt in Kooperation mit euch durchführen. So verbindet und verknüpft sich alles. Ich finde es wertvoll, diesen Weg zu Loopings hier aufzurollen, weil das Beispiel doch wunderbar zeigt: Es kann sich lohnen, bei spannenden Personen und Initiativen bzw. Organisationen anzuklopfen, neugierig und offen zu sein, sich zu vernetzen – auch ohne schon von Beginn weg zu wissen, was daraus entstehen soll. Das rät übrigens auch Morgenthaler: Menschen, Organisationen und Orte zu besuchen, die inspirieren. Denn oft sind es gerade solche Begegnungen und Erkundungen, die uns weiterbringen auf unserem Weg.
Uh, es ist wirklich einiges passiert. Das kann man laut sagen. Allem voran: die Pandemie. Als im März 2020 der Corona-Lockdown in Kraft trat, war ich noch beim Museum engagiert. Es war eine herausfordernde Zeit, auf verschiedenen Ebenen. Wir konnten als Team aber die Chance packen, das Erlebte sogleich aufzugreifen und zu verarbeiten: in «System Reset», einer interaktiven Installation. Dabei haben wir Arbeitswelt-Trouvaillen aus der Corona-Anfangszeit gesammelt: von der Frage, wer Sorgearbeit leistet, bis zu schmutzigen Tricks fürs Homeoffice. Erweitert haben wir das Ganze mit vergangenen Wendezeiten, also historischen Schlaglichtern. Und wir haben versucht, Wünsche wachzukitzeln, den Weg vom Wissen zum Wollen und vom Wollen zum Wirken schmackhaft zu machen. Zentrale Fragen dabei: Was wäre denn eine wünschenswerte Arbeitswelt? Und welche Tools braucht es? Gar nicht so einfach. Denn gerade daran fehlt’s: an Wunschbildern mit Anziehungskraft, an Utopien. Oft ist nur anskizziert, was bedrohlich ist, bedrückend, wir nicht mehr wollen.
Das haben wir versucht. Jede Krise legt Bruchstellen offen, verunsichert, kann überfordern. Sie birgt aber auch Chancen. So platt und abgewetzt das klingen mag; nach meiner Erfahrung stimmt’s. Und ich beobachte bei mir sowie bei anderen Menschen in meinem Umfeld, dass die Kompromissbereitschaft abgenommen hat, die Risikobereitschaft gestiegen ist. Man kündigt auch mal seinen Job, ohne genau zu wissen, wie es weitergeht. Die Illusion von «Sicherheit» ist sowieso ramponiert. Der Wunsch nach Sinnhaftigkeit, einem stimmigen «Wir», nach geteilten und gelebten Werten ist noch grösser geworden. Und manche müssen sich auch einfach von zu intensiven Zeiten erholen. Entsprechend verwundert es mich gar nicht, dass Sara Webers Buch «Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?» aktuell eine enorme Resonanz erfährt. Denn Hand aufs Herz: Es drückt einiges. Im Innen. Im Aussen. Und wir müssen uns – wie Weber auch fordert – wirklich überlegen, wie Arbeit heute und morgen funktionieren kann. Mit einem Fokus auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit, den Menschen, auf die Natur.
Was mir da interessanterweise als erstes einfällt, ganz spontan? Humor! Für eine Arbeitswelt, in der es nichts zu lachen gibt, nie, ist das Leben definitiv zu kurz. Wichtig ist mir auch, dass ich einen Sinn bei meinem Tun sehe, ich das Gefühl habe, einen Unterschied machen zu können, einen Impact zu haben. Und ich lege viel Wert auf Fairness, Wertschätzung, die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, eine konstruktive Feedback- sowie eine positive Fehlerkultur. Offenheit und die Bereitschaft, dazuzulernen, von allen Seiten. Keine Machtspielchen, keine toxischen Menschen und Machenschaften. Experimentierfreude. Mut. Kreativität. Freude am eigenen Wachstum, Mitfreude am Wachstum der anderen. Und ich fühle mich in einer Arbeitswelt wohl, in der Fragen gelebt werden. Da, wo’s schon zu viele Antworten gibt, nur Antworten, Antworten, Antworten, ist was faul. Da wird – mit grosser Wahrscheinlichkeit – ein totes Pferd geritten. Zudem war meine ideale Arbeitswelt schon immer auch ein Mosaik. Ich schätze es, verschiedenen Interessen und Fähigkeiten von mir Raum schenken zu können. Selbständig bin ich als Autorin, Coach und Schreibpädagogin sowie als Kulturschaffende.
Das ist eine legitime Frage. Und ich glaube, ich habe einen Trick herausgefunden, der im ersten Moment paradox klingen mag, weil’s im Grunde noch ein Ball mehr ist: Ich habe mir vorgenommen, dieses Jahr vermehrt draussen in der Natur und mit meinem pensionierten Vater in dessen Werkstatt zu arbeiten. Also mit dem Schleifgerät, mit dem Bohrer, mit der Hacke, mit den Händen. Das Experiment hat eben erst begonnen, aber ich merke schon jetzt: Es bringt Ruhe ins System. Für mich grenzt das fast schon an Meditation. Und wie sagt man so schön? «Meditiere jeden Tag 20 Minuten. Ausser wenn du zu beschäftigt bist. Dann meditiere eine Stunde.»
Was mir sicher auch hilft, beim Jonglieren: Ich arbeite wahnsinnig gern. Und ich merke, wie sich die Felder zunehmend berühren, verbinden, wie ich also dem Bild mit den einzelnen, durch die Luft wirbelnden Bällen ein zweites zur Seite stellen kann: das des Teppich-Webens mit verschiedenen Materialien und Farben. Diese Vorstellung der Arbeit am grösseren Ganzen setzt in Beziehung. Auf einer inhaltlichen Ebene – denn zeitlich, also in der Agenda, ist es mir wichtig, auch zu trennen, also zu fixieren, wann ich an was arbeite. Wenn zeitgleich zu viele Tabs offen sind, im wortwörtlichen und übertragenen Sinne, wird’s schwierig, sich nicht zu verzetteln. Das «work in progress limit» aus dem Kanban macht viel Sinn.
Ich verstehe mich mit meinen 40% mitunter als Joker fürs Team bzw. im «hands-on»-Modus. Das entspricht mir auch sehr, da ich liebend gern dabei bin, wenn Neues entsteht und Zuständigkeiten zwar verteilt, aber die Schubladen nicht hochheilig und einzeln abgeschlossen sind. Ich schätze es, hier und dort anpacken und mitdenken zu können. Was wir bereits fixiert haben, ist, dass ich im Herbst neue Kandidat:innen und Unternehmen beim «Praktikum Arbeitswelt 4.0»-Abenteuer begleiten darf und dafür auch bewusst auf Start-ups im Nachhaltigkeitsbereich zugehe. Darauf freue ich mich sehr – weil ich überzeugt bin, dass gerade auch auf der Ebene von Nachhaltigkeit ein Austausch zwischen den Generationen von grossem Wert ist und alle gewinnen können, wenn wir uns zuhören, voneinander lernen, am gleichen Strick ziehen. Es gilt, den Ernst der Lage zu erkennen und zu handeln. Zusammen.
Foto: Urs Weisskopf
Andrea wird den Hut fürs «Praktikum Arbeitswelt 4.0» übernehmen. Und ihr könnt dabei sein! Mehr dazu erfahrt ihr im Loopings Studio.