Reverse Mentoring bei Accenture

Da Vanessa Zeilfelder, 14. marzo 2022

Sobald es um Generationenmiteinander in der Arbeitswelt geht, ist der Ruf nach einer Umkehrung der Lernrichtung und «Reverse Mentoring» nicht weit: Jüngere Kollegen und Kolleginnen werden zu Mentoren und Mentorinnen für Führungskräfte und erfahrene Mitarbeitende. Bei Accenture wird das Programm schon seit mehreren Jahren durchgeführt und stetig weiterentwickelt. Wir sassen (virtuell) mit der Mentorin Franziska Müller und ihrem Mentee Mathias Metzger zusammen und haben über ihre Erfahrungen und Aha-Momente während des Mentorings gesprochen.

Was ist Reverse Mentoring und wie läuft das Programm ab?

Franziska: Reverse Mentoring gibt es bei Accenture schon seit vier Jahren. Jüngere Kollegen und Kolleginnen, also Analysts und Consultants, sind Mentoren und Mentorinnen für Führungskräfte (Mentees). Das Programm ist auf 12 Monate angelegt und die Teilnehmenden werden durch einen «Journey Guide» begleitet. Das kann man sich wie ein Toolkit rund um das Mentoring vorstellen, hinter dem ein Team steckt, das den Rahmen vorgibt. Darüber hinaus ist die Ausgestaltung sehr frei und vor allem von den Wünschen und aktuellen Herausforderungen des Mentees abhängig.

Mathias: Es ist immer eine 1:1 Beziehung, es gibt also keinen Mentor, der mehrere Mentees gleichzeitig hat. Alles, was wir in dem Programm besprechen, bleibt zwischen den beiden Personen. Es sei denn, die beiden erklären sich bereit, ihre Erkenntnisse mit einem breiteren Publikum zu teilen. Ausserdem gibt es während des Programms Gefässe, in denen sich nur die Mentoren und Mentorinnen bzw. die Mentees unter sich treffen und ihre Erfahrungen austauschen können.

F: Für uns war das sehr wertvoll. Denn die Hierarchien hat man trotzdem im Kopf und fragt sich: Was darf ich als Mentorin? Was ist erlaubt? Wie könnte ich das ausdrücken? Der Erfahrungsaustausch mit den anderen Mentoren und Mentorinnen war sehr hilfreich und man konnte gute Einblicke bekommen, was andere ausprobiert haben.

Was hat euch dazu bewegt, beim Programm mitzumachen?

M: Für mich ist der Austausch besonders wertvoll, weil ich einen Bereich führe, in dem Analysts und Consultants, also die eher jüngeren Kolleginnen und Kollegen, eine wichtige Rolle spielen. Durch das Mentoring kann ich besser verstehen: Was ist ihnen wichtig und wie sehen sie die Welt? Welche Fragen stellen sie sich? Wie kann ich mich verbessern und auch auf die anderen Generationen eingehen? Aus dem Mentoring ergaben sich Punkte, auf die ich allein nicht gekommen wäre.

Hast du ein Beispiel für einen Generationenunterschied?

M: Interessant ist, dass es den Generationenunterschied nicht nur zwischen Analysts und Managing Directors (MD) gibt, sondern auch innerhalb der MDs. Nach einer umfassenden Neuausrichtung unser Praxis hat Franzi Feedbackgespräche mit «jüngeren MDs» geführt und in ihrer Analyse festgestellt, dass diese Gruppe keinen wirklichen Zugang zu mir hatte. Sie empfanden meine Art zu kommunizieren als schwierig und vermissten eine persönliche Bindung. Daraufhin haben wir beispielsweise die Initiative «Fireside Chat» gestartet, die genau auf dieses Relationship Building fokussiert hat und haben die Thematik ganz offen adressiert. Das kam sehr gut an.

Wenn wir in Richtung jüngere Generation denken, hilft es mir zu verstehen: Was sind ihre Anforderungen an die flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit? Insbesondere während der Coronazeit hat Franzi mir geholfen zu verstehen, wie es den jüngeren Kollegen und Kolleginnen eigentlich geht. Sie haben ja diesbezüglich ganz andere Herausforderungen als ich. Meine Kinder sind schon erwachsen und aus dem Haus. Ihre Themen reichten von der Wohnsituation über Kinderbetreuung bis hin zu finanziellen Ängsten und der Sorge, den Job zu verlieren.

Franzi, was hat dich an der Idee des Reverse Mentorings gereizt?

F: Ich fand die Initiative an sich einfach gut. Das Leadership leistet einen unglaublichen Vertrauensvorschuss und erklärt sich bereit, sich zu öffnen. Da bin ich neugierig geworden. Ich wollte besser verstehen, was die Herausforderungen im Leadership sind. Das war für mich bis anhin nicht transparent. Genauso wie wir Jüngeren dem Leadership manchmal unterstellen, in einer Blase zu leben, tun wir es auch. Zu diesem Zeitpunkt in meiner Laufbahn war das eine einmalige Gelegenheit, um dahingehend Einblicke zu erhalten. Wenn ich heute reflektiere, wie ich mich durch das Programm beruflich und persönlich weiterentwickelt habe, bin ich sehr dankbar, dass ich diesen Schritt gemacht habe.

Wie hat euer Umfeld auf eure Teilnahme reagiert?

F: Intern ist die Initiative schon breit bekannt und wird sehr positiv aufgenommen. Ich fand es eher spannend, wie mein Umfeld ausserhalb von Accenture reagiert hat, als ich erzählt habe, dass ich die Mentorin des Strategy & Consulting Leads in der DACH-Region bin. Da stiess ich auf grosses Erstaunen darüber, dass so ein Programm überhaupt existiert und dass es die Offenheit, das Vertrauen und Commitment gibt, diesen Weg zu gehen.

M: Ich weiss gar nicht, ob ich Reaktionen darauf wahrgenommen habe. Da ich einer der Initiatoren des Programms war, wissen die Leute sowieso, dass ich davon überzeugt bin. Deshalb gab es da keine überraschten Reaktionen. Franzi, was hast du wahrgenommen?

F: Eher über die Art, wie wir es gemacht haben.

Mentee Mathias Metzger, Senior Managing Director

Wie habt ihr eure Mentoring-Beziehung denn gestaltet?

M: Für mich war wichtig, dass wir erst einmal eine persönliche Beziehung aufbauen. Die hatten wir vorher noch nicht. Für mich war eine der Überraschungen, dass Franzi überrascht war, wie ernsthaft ich das angehe. Für mich ist das ganz logisch, denn wenn ich das nicht ernsthaft mache oder die Chemie nicht stimmt, dann kann auch nichts dabei rauskommen. Dann lässt man es besser bleiben, die Freiheit haben alle. Zweiter Punkt: Dass wir eine gewisse Regelmässigkeit etablieren, die wir auch stringent durchgezogen haben. Das waren sowohl persönliche Gespräche als auch Online-Treffen. Ich glaube, auch hier ist es wichtig, einen guten Mix zu haben. Trotz aller momentanen Widrigkeiten.

F: Wir haben uns etwa monatlich getroffen, hatten aber keinen Regeltermin. Wir haben abhängig von unseren Aktivitäten entschieden, was der nächste Meilenstein ist und das hat gut funktioniert.

M: Das muss auch jedes Tandem für sich entscheiden. Ich bin nicht so ein Regeltermin-Typ, dafür haben wir manchmal längere Sessions eingeplant. Für mich war auch wichtig, dass es keine Einbahnstrasse ist, sondern ein Geben und Nehmen. Auch wenn Franzi die Mentorin war, wollte ich verstehen, was sie aus dem Jahr mitnehmen möchte. Franzi hat während des Programms als Beobachterin an Diskussionen teilgenommen, an denen sie sonst nie hätte teilnehmen können und Sachen gehört, die sonst nur die Führungskräfte hören. Das war sicher ein spannender Part, aber Vertrauen ist an der Stelle ganz wichtig.

Und an welchen Themen habt ihr ganz konkret gearbeitet?

F: Am Anfang haben wir die Karten auf den Tisch gelegt: Was ist die Erwartungshaltung? Wo sieht Mathias gerade Herausforderungen und wobei kann ich ihn unterstützen? Daraus ergab sich eine Longlist an Ideen, die wir priorisiert haben. Basierend darauf habe ich begonnen, ein 360 Grad Feedback für Mathias einzuholen, damit er einen ganzheitlichen Blick bekommt. Er war jetzt ein Jahr in seiner neuen Rolle und wollte wissen, wo seine Stärken liegen und welches Verbesserungspotenzial besteht. Ich habe dazu Interviews mit den verschiedensten Personen aus Mathias Umfeld geführt, auch über verschiedene Hierarchiestufen hinweg. Meine Interviewpartner:innen haben sich durch das ehrliche Interesse an ihrer Meinung sehr wertgeschätzt gefühlt. Die Eindrücke habe ich später konsolidiert und auf diese Ergebnisse haben wir die weiteren Aktivitäten gestützt.

M: Es gab da übrigens eine tolle Entwicklung, das weiss Franzi noch gar nicht. Wir haben uns dazu entschieden, das 360 Grad Feedback als Standard zu hinterlegen und es den anderen Managing Directors mit einem Coaching Ansatz näherzubringen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, denn darauf reagiert jeder anders. Aber ich glaube, alle Seiten werden davon profitieren.

F: Ein Aha-Moment war für mich die Erkenntnis, in welchem Beziehungsgeflecht Mathias unterwegs ist. Und wie unterschiedlich die Interessen und Erwartungshaltungen ihm gegenüber sind. Wie ausgeprägt dieser Spagat ist, war mir vorher nicht klar. Wir haben aber einen guten Weg gefunden, unterschiedliche Formate für die verschiedenen Gruppen zu entwickeln und sich je nach Format zu überlegen, wie man adressatengerecht kommuniziert.

Franzi, wie war es für dich, Mentorin für Mathias zu sein? Einer der Senior Managing Directors bei Accenture.

F: Für das erste Kennenlernen in Düsseldorf habe ich eine kleine Präsentation über mich vorbereitet. Damit Mathias wusste, wer ihn da auf die Reise mitnimmt, wer hinter «Franzi» steckt. Mathias hat es mir aber von Anfang an sehr einfach gemacht, war super offen und hat eine Atmosphäre geschaffen, sodass ich nicht nervös sein brauchte. Deshalb habe ich von Tag eins gemerkt: Das ist auf Augenhöhe, das basiert auf Vertrauen und ich muss mich nicht zurückhalten. Das ist elementar, da man während des Mentorings auch Verbesserungspotenzial identifiziert und eine vertrauensvolle Basis braucht, um es zu adressieren. Das Programm war für mich eine sehr positive und bereichernde Erfahrung, persönlich wie auch beruflich. Ich habe viel darüber gelernt, wie man Feedback gibt. Dazu haben wir von den Journey Guides Input und Methoden bekommen. Wir arbeiten in immer diverseren Teams und da war das für mich ein wertvolles Learning. Auch wenn ich die Mentorin war, hat mir Mathias Guidance hinsichtlich meines Entwicklungsweges gegeben. Also eine voll und ganz bereichernde Erfahrung.

Mathias, was setzt du heute von dem um, was Franzi dir mitgegeben hat? Inwiefern hat es die Art, wie du führst, verändert?

M: Ich würde sagen, die Art wie ich führe, die verändert sich nicht zwingend. Aber ich adressiere meine unterschiedlichen Anspruchsgruppen viel sensitiver. Das ist auch für mich ein interessantes Aha-Erlebnis gewesen: Franzi meinte irgendwann, dass ich machen kann, was ich will. Ich werde es nie allen recht machen können. Und das ist eine wichtige Reflektion. Man hat so viele unterschiedliche Interessen abzudecken, das wäre gar nicht möglich. Aber ich bin mir dessen zumindest bewusst und weiss, wann ich welche Dinge in den Vordergrund stellen muss. Davon habe ich in den letzten 12 Monaten deutlich profitiert. Und die Initiativen, die wir losgetreten haben, führen wir auch nachhaltig weiter und sind nicht nur kurz aufgeflammt. Aus dem ursprünglichen Fireside Chat haben wir inzwischen ein Managing Director Coaching entwickelt.

Welche Tipps würdet ihr anderen Tandems geben? Neben Vertrauen und Regelmässigkeit…

M: Das Vertrauen kommt für mich ganz klar mit einem Safe Space. Nur das Vertrauen auszusprechen, reicht nicht. Man braucht ein paar Prinzipien, die man auch wirklich lebt. Da darf es nicht zum Bruch kommen, das zerstört sonst eine solche Beziehung. Und wie du sagst, die Regelmässigkeit war für mich ganz entscheidend.

F: Ergänzend dazu: Nutzt die Gelegenheit, seid wirklich committet! Dieses Format proaktiv zu nutzen, braucht Zeit und Einsatz von beiden Seiten. Das ist kein Programm, das so nebenher läuft.

M: Ich kann auch nur jedem Mentor oder Mentorin raten, das nicht vordergründig als Karriereboost zu nutzen. Das passiert sowieso und ist ein netter Nebeneffekt. Aber ich glaube, dieses Gefühl darf beim Gegenüber nicht entstehen – es ist kein Coaching für den Mentor! Man muss wirklich an der Sache interessiert sein, es ist ein Geben und Nehmen. Wenn einer immer auf die Initiative des anderen wartet, funktioniert es nicht.

Ihr habt schon mehrmals die «Journey Guides» angesprochen, was können wir uns darunter vorstellen?

F: Bei uns gab es ein Team von Kolleginnen oder Kollegen aus dem Bereich Talent & Organisation Consulting, die den ganzen Prozess aufgesetzt haben. Sie haben die Roadmap entwickelt, das Matching durchgeführt, Materialien erstellt und Kommunikation und Meeting Governance übernommen. Sie haben uns auch inhaltlich begleitet und waren immer da für die Fragen der Teilnehmenden. Mit ihrem Hintergrund, teilweise auch Coaching Erfahrung, hatten wir also zusätzliche Expertise an der Hand. Durch den jährlichen Rhythmus hatten wir einen klaren Rahmen für das Programm und der Austausch mit den anderen Mentoren und Mentorinnen bzw. Mentees war sehr hilfreich.

Ist Reverse Mentoring ein Programm, bei der jede Führungskraft mitmachen sollte oder empfehlt ihr, es besser auf freiwilliger Basis zu belassen?

M: Klar, jeder sollte das machen :) Aber niemand muss. Ich glaube, die Situation kann sehr anstrengend werden, wenn das jemand gar nicht will und sich dazu gezwungen fühlt.

F: Das glaube ich auch. Man kann es jedem empfehlen und wir beide teilen unsere positiven Erfahrungen auch sehr proaktiv. Aber über einen Zwang kann man den Wert, den diese Tandems bieten können, nicht erreichen. Es muss auf einer inneren Motivation und ehrlichem, gegenseitigem Interesse basieren.

M: Vielleicht erzähle ich noch die eine Anekdote. Franzi hat für das 360 Grad Feedback Interviews aufgesetzt, unter anderem mit jemandem aus meinem Leadership Team. Bevor derjenige überhaupt wusste, worum es geht, hat er die Meeting-Einladung erstmal abgelehnt. Dann hat er bei mir angerufen und mir erzählt: «Da hat jemand bei mir angefragt, ich glaube eine Analystin, die mit mir ein Interview über dich führen will. Also sowas mache ich nicht.» Da habe ich ihm gesagt, dass er das machen sollte, weil ich ja genau das Feedback haben will. Er konnte das fast nicht glauben. Das war eine sehr seniore Führungskraft. Am Ende hat er das Interview gemacht und es war eine gute Erfahrung für ihn, aber er ist vielleicht noch nicht bereit für Reverse Mentoring :)

F: Man wirkt da schon auch als Change Agent…

Und wie geht es jetzt weiter?

F: Das einjährige Programm ist für uns abgeschlossen und Mathias hat inzwischen eine neue Reverse Mentorin. Wir haben eine Übergabe gemacht und die neue Mentorin von Mathias übernimmt nun die weitere Umsetzung der Initiativen. Für uns beide ist es schön zu wissen, dass das weitergeführt wird und die Reise weitergeht. Mathias und ich bleiben bestimmt im Austausch. Was wir in einem Jahr aufgebaut haben, verbindet uns auch sehr stark für die nächsten Jahre.

M: Das ist doch ein tolles Fazit der Mentorin. Mission accomplished!

Vielen Dank für die spannenden Einblicke!

Das Reverse Mentoring Programm wird bei der Unternehmensberatung Accenture in der DACH-Region schon zum vierten Mal durchgeführt. Als Mentorinnen und Mentoren können sich Mitarbeitende auf dem Level Analyst und Consultant bewerben, Mentees können Senior Manager und Managing Directors werden. Wer interessiert ist an der Mentor:innen-Rolle, reicht den CV sowie Informationen zu Motivation und Erwartungshaltung ein. Diese Unterlagen werden den angehenden Mentees zugestellt, die Wunschmentor:innen auswählen können. Das Programm erstreckt sich über ein Jahr und ist freiwillig. Die Teilnehmenden werden von sogenannten «Journey Guides» begleitet, die das Programm konzipiert haben, das Matching übernehmen und bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Mentoringbeziehung sowie bei Unsicherheiten unterstützen können. Ausserdem werden regelmässig Gefässe angeboten, in denen sich sowohl Mentor:innen als auch die Mentees untereinander jeweils austauschen können.

Ihr wollt mehr über Reverse Mentoring erfahren? Oder euch darüber austauschen, wie ihr das Generationenmiteinander in eurem Unternehmen gestalten könnt? Dann meldet euch gerne direkt bei Vanessa Zeilfelder von Loopings:

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