Eine regelmässige fachlich-berufliche Weiter- und Fortbildung gehört in einer dynamischen Berufswelt zu den häufig erwähnten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit 50plus. Obwohl lebenslanges Lernen heute eine verankerte soziale Norm darstellt, hat sich berufliche Fort- und Weiterbildung nicht in allen Gruppen durchgesetzt. Entsprechend besteht zwischen Weiterbildungsnorm und Weiterbildungsrealität oft eine ausgeprägte Diskrepanz.
In einem ersten Schritt wird untersucht, wie häufig berufliche Weiterbildung bei über 50-jährigen Personen vorkommt und welche Einflussfaktoren Fort- und Weiterbildung in späteren Erwerbsphasen begünstigen bzw. beschränken.
In einem zweiten Schritt wird diskutiert, welche Lernformen in späten Berufsjahren zentral sind. In einer dynamischen Arbeitswelt wird etwa eine Umkehrung der klassischen Lernpyramide (nicht mehr Junge lernen von älteren Menschen, sondern ältere Menschen lernen von jüngeren Personen) immer bedeutsamer.
Einige Informationen zur Bildungsbeteiligung in späteren Erwerbsjahren vermittelt der Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2016 (Bundesamt für Statistik 2018). Nachgefragt wurde nach der Beteiligung an formellen Formen der Weiterbildung sowie an Formen des informellen Lernens in den letzten 12 Monaten. Im Altersgruppenvergleich zeigt sich folgendes Muster:
Erstens sinkt der Anteil an Personen, die sich in Ausbildung befinden. Im höheren Alter und von den 55-64-jährigen Personen absolviert nur 1% eine (Zweit-)Ausbildung.
Zweitens reduziert sich der Anteil an Personen, die eine formelle Weiterbildung anführen, nach dem 25. Altersjahr. Von den 55- bis 64-jährigen Befragten haben sich 26% beruflich weitergebildet. Weitere 16% haben berufliche und ausserberufliche Weiterbildung kombiniert und im höheren Erwerbsalter finden Bildungsformate, die berufliche und ausserberufliche Dimensionen ansprechen, ein erhöhtes Interesse. Insgesamt haben sich gut zwei Fünftel (42%) der 55- bis 64-Jährigen in irgendeiner Form in den letzten 12 Monaten beruflich weitergebildet.
Drittens sinkt auch informelles Lernen – im Mikrozensus «Aus- und Weiterbildung» definiert – mit steigendem Alter leicht, es ist aber auch in höheren Altersgruppen verbreitet. Nicht institutionalisierte Lernformen können beruflich wie ausserberuflich ebenso wertvoll sein wie formale Lernmodule. Ihre Validierung ist allerdings schwierig, weil sich informelle Lernformen sozialer Kontrolle und Überprüfung entziehen.
In allen berücksichtigten europäischen Ländern zeigen sich klare und hochsignifikante Unterschiede der Weiterbildungsaktivitäten nach Bildungsniveau: Personen mit tertiärer Ausbildung bilden sich auch in späteren Erwerbs- und Lebensphasen häufiger weiter als Personen mit nur obligatorischer Schulbildung. Oder in anderen Worten: Wer schon gut gebildet ist, bildet sich auch später weiter, was Ungleichheiten der Bildungshintergründe im höheren Erwerbsalter weiter verstärkt. Darin spiegeln sich zwei Faktoren: Personen mit guter schulisch-beruflicher Grundausbildung haben eher Normen lebenslangen Lernens und positive Lernerfahrungen verinnerlicht als bildungsferne Personen. Dazu kommt, dass Berufe, die eine hohe schulisch-berufliche Ausbildung voraussetzen, vielfach eine permanente Weiterbildung bedingen und in zunehmend mehr Fachberufen ist eine nachweisbare regelmässige Weiterbildung eine Voraussetzung für eine weitere Berufsausübung (z.B. bei ärztlichem Fachpersonal). Eine Detailanalyse (logistische Regression) bestätigt, dass das abgeschlossene Bildungsniveau der stärkste Bestimmungsfaktor für eine spätere berufliche Weiterbildung darstellt. Mit steigendem Alter bzw. Nähe zum Ruhestand sinkt die Weiterbildungsteilnahme ab und nicht erwerbstätige Personen sind weniger bildungsorientiert. Das Geschlecht ist statistisch ebenfalls bedeutsam, Männer nehmen leicht häufiger an formellen Weiterbildungsveranstaltungen teil als Frauen, wenn der geschlechterbezogene Unterschied auch gering ist. Interessant ist aber auch der Einfluss genereller Werthaltungen: Wer Innovationsfähigkeit und Kreativität stärker betont, engagiert sich häufiger in Formen lebenslangen Lernens. Ebenso gilt dies, wenn Befragte wichtig einschätzen, neue Dinge auszuprobieren. Offenheit für Neues und positive Gewichtung von Innovation und Kreativität sind – auch nach statistischer Kontrolle der übrigen einbezogenen Variablen – wichtige Einflussfaktoren einer beruflichen Fort- und Weiterbildung in späteren Erwerbs- und Lebensjahren.
Die vorher angeführten Daten bezogen sich auf einen Zeithorizont von einem 1 Jahr. Der erfragte Zeithorizont, 12 Monate, kann aus fragebogenmethodischer Sicht allerdings hinterfragt werden. So können bei einem 12-monatigen Zeithorizont Erinnerungslücken und falsche zeitliche Zuordnungen («Telescoping-Effekte») auftreten.
In der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) 2017 ist der nachgefragte Zeithorizont deutlich kürzer (Weiterbildung in den letzten 4 Wochen). Berücksichtigt wurden drei Formen formeller Weiter- und Fortbildung: a) Weiterbildungskurse; b) Besuch von Seminaren, Kongressen, Konferenzen, Vorträgen, Workshops sowie c) Besuch eines bezahlten Privatunterrichts.
Auch bei dieser Erhebung zeigt sich das Muster einer leichten Abnahme der Teilnahme an Weiterbildungskursen in höheren Altersgruppen. Die Teilnahme an Seminaren, Kongressen und Workshops verändert sich dagegen bis zum ordentlichen Rentenalter wenig. Diese Formen von Weiterbildung und Informationsaustausch dienen implizit oder explizit auch der sozialen Netzwerk- und Kontaktpflege – und bei vielen Workshops und Seminaren sind die sozialen Funktionen ebenso bedeutsam, wenn nicht sogar bedeutsamer, als der formelle Lerneffekt. Etwas häufiger als formale Weiterbildung ist die Teilnahme an informellen Formen der Weiterbildung, wobei sich auch hier mit dem Alter ein abnehmender Trend zeigt. Seltener ist ein bezahlter Privatunterricht und bis zum Rentenalter werden hauptsächlich berufliche Gründe für eine Teilnahme an formalen Lernveranstaltungen angeführt.
Die Tatsache, dass formelle Weiterbildung stark beruflich orientiert ist, trägt dazu bei, dass sich erwerbstätige Personen in allen Altersgruppen häufiger formell weiterbilden als gleichaltrige nichterwerbstätige Personen. Während 18% der 55-64-jährigen Erwerbstätigen in den letzten vier Wochen einen Weiterbildungskurs besuchten, waren es bei den nicht-erwerbstätigen 55-64-Jährigen nur 7%. Selbst bei den Personen im AHV-Alter ist eine weitere Erwerbstätigkeit ein Motiv für Weiterbildung bzw. nur eine regelmässige Weiterbildung erlaubt eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit.
In jedem Fall ist ein Ausbau der Weiterbildung 50plus eine wichtige Rahmenbedingung, wenn es darum geht, die Lebensarbeitszeit auszudehnen bzw. das AHV-Regelalter zu erhöhen. Allerdings sind ältere Erwerbstätige ebenso wie ältere Menschen bezüglich ihrer (Weiter)Bildungschancen gegenüber jüngeren Menschen generell benachteiligt, weil sie sich nur sehr beschränkt auf ein institutionalisiertes Bildungssystem abstützen können. Sie gehören in vielen Ländern sozusagen zu den vom Bildungssystem strukturell Vergessenen (Campiche, Kuzeawu 2017).
Ein zentraler Faktor, der fachlich-berufliche Weiterbildung in späteren Erwerbsjahren bestimmt, ist die erreichte Ausbildungsstufe. Auch in der Auswertung der Arbeitskräfteerhebung zeigt sich, dass permanentes Lernen vor allem bei gut ausgebildeten Personen (= Personen mit tertiärer Ausbildung) verbreitet ist, wogegen sich Personen mit tiefem Bildungsstatus (= Personen ohne Berufslehre) schon früh vom Bildungssystem verabschieden. Dies führt bei älteren Erwerbspersonen zu sich weiter verstärkenden fachlich-beruflichen Bildungsunterschieden. Während von den bildungstiefen 55-64-Jährigen nur 6% in den letzten 4 Wochen einen Weiterbildungskurs besucht haben, waren es bei den 55-64-Jährigen mit tertiärem Ausbildungshintergrund 23%. Analoge Unterschiede nach Ausbildungsstufen zeigen sich bezüglich Kongress- und Seminarbesuchen.
Inhalt, Form und Art der fachlich-beruflichen Weiterbildung variieren sachgemäss je nach Wirtschaftsbereich und Berufsfeld. Aber auch das allgemeine Ausmass beruflicher Weiterbildung variiert je nach Wirtschaftsbranche und Berufshauptgruppen, wie die nachfolgend angeführten Angaben bezogen auf die Gruppe der 55-64-jährigen Erwerbstätigen verdeutlichen. Eine vergleichsweise hohe Weiterbildungsintensität zeigt sich etwa im Finanzsektor (Kredit- und Versicherungsgewerbe) sowie im Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Relativ geringe Weiterbildungsquoten ergeben sich in Baugewerbe, Gastgewerbe sowie bei wirtschaftlichen Dienstleistungen (wie Haus- und Putzdienste).
Auch zwischen den Berufshauptgruppen werden deutliche Unterschiede in der Weiterbildung sichtbar, mit eher hoher Weiterbildungsbeteiligung bei Führungskräften, akademischen und technischen Berufen. Handwerkliche Berufe und Hilfsarbeitskräfte weisen umgekehrt geringe Weiterbildungsquoten auf, zumindest was formelle Weiterbildung betrifft. In gewissem Masse widerspiegeln auch diese Diskrepanzen soziale Statusunterschiede fachlich-beruflicher Bildung: Je höher der berufliche Status, desto häufiger erfolgt auch in späteren Erwerbsjahren eine Weiterbildung; sei es über Weiterbildungskurse oder via Teilnahme an Seminaren, Vorträgen oder Workshops.
Neben dem Effekt von Branche, Beruf und schulisch-beruflichem Ausbildungshintergrund werden noch drei weitere, wenn auch schwächere Einflusselemente sichtbar: Teilzeitarbeitende Personen nehmen weniger häufig an Weiterbildungskursen teil als Vollzeitarbeitende. Vor allem eine Teilzeitarbeit von unter 50% einer Vollzeitstelle reduziert die Teilnahme signifikant. Das (chronologische) Alter ist insofern relevant, als sich auch nach Kontrolle der anderen Variablen ein signifikanter, wenn auch nicht markanter Effekt in der Richtung zeigt, dass die Teilnahme an Weiterbildungskursen im höheren Erwerbsalter geringer wird. Auch das Geschlecht ist eine signifikante Einflussgrösse, wobei nach Kontrolle der anderen Variablen Frauen häufiger Weiterbildungskurse besuchen als Männer (allerdings ist der entsprechende Unterschied zwar statistisch signifikant, aber keineswegs markant).
Für die Teilnahme an kürzeren Formen der Weiterbildung (Seminare, Kongresse, Workshop) ergeben sich ähnliche Muster wie beim Besuch von Weiterbildungskursen. Auch der Besuch von Seminaren, Kongressen usw. wird am stärksten durch Wirtschaftsbranche, Berufsgruppe und Ausbildungsstufe beeinflusst. Ebenso zeigt sich, dass solche Formen des Informationsaustausches bei Vollzeit häufiger vorkommen als bei Teilzeit. Das Geschlecht hingegen zeigt ein anderes Muster: Während Weiterbildungskurse nach Kontrolle anderer Variablen von Frauen häufiger besucht werden, ist die Teilnahme an Seminaren, Kongressen und Workshops bei Männern häufiger – möglicherweise weil bei solchen Austauschformen Netzwerkelemente relevanter werden als bei Weiterbildungskursen. Das Alter ist – nach Kontrolle anderer Variablen – kaum mehr eine relevante Einflussgrösse. Längere Weiterbildung sinkt gegen Berufsende, nicht aber die Teilnahme an kürzeren Formen des Informationsaustausches und der sozialen Vernetzung.
Lernprozesse sind selbst im höheren (und hohen) Lebensalter wirksam, sofern Lernrhythmus, Lernbiographie und aktuelle soziale und gesundheitliche Situation älterer Menschen berücksichtigt werden. So verlangsamt sich mit steigendem Alter die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, speziell bei komplexen Aufgaben. Wichtig ist deshalb bei Lernprozessen im höheren Alter ausreichend Zeit. Die Hauptbarrieren beim Lernen im Alter bzw. bei älteren Erwerbstätigen sind allerdings häufig das Ergebnis fehlender oder verlernter Lernstrategien. Wer positive Erfahrungen mit Lernen und Bildung zur Bewältigung von Lebens- und Berufsaufgaben gemacht hat, wird auch in späteren Lebens- und Berufsphasen bildungsnäher verbleiben. Gemäss Ergebnissen des Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2016 (Bundesamt für Statistik 2018) weisen 25% der Wohnbevölkerung keinen Bildungs- bzw. Weiterbildungswunsch auf. Dieser Anteil erhöht sich mit dem Alter. So deklarieren 34% der 55-64-Jährigen, keine Bildungsaktivitäten besuchen zu wollen (im Vergleich zu 22% der 45-54-Jährigen). Am stärksten ist allerdings der Zusammenhang mit dem formalen Bildungsstand: Während nur 13% der Personen mit Tertiärausbildung eine Weiterbildung ablehnen, sind dies 37% der Personen mit nur obligatorischer Schulbildung.
Wird nach den Teilnahmehindernissen für eine Aus- und Weiterbildung gefragt, steht Zeitmangel (37%) an erster Stelle. An zweiter Stelle werden zu hohe Kosten (14%) erwähnt. An dritter Stelle stehen familiale Probleme (zu hohe familiale Beanspruchung 12%, davon Männer 7%, Frauen 17%). Ältere Personen erwähnen zudem nicht selten gesundheitliche Gründe als Haupthindernis für eine Weiter- und Fortbildung (55-64 J. 14%, 65-75 J. 17%). Andere Faktoren wie kein passendes Angebot (6%) oder fehlende Unterstützung vom Arbeitgeber (5%) werden weniger angeführt.
Ein Wiedereinstieg, speziell in formale Lernprozesse, verlangt in jedem Fall eine sinnhafte Einbettung des Lernstoffes in den Erfahrungs- und Berufshintergrund älterer Erwerbspersonen. Speziell bei älteren Erwerbspersonen ist die Tatsache, dass Neues häufig an bereits bekannte Wissenselemente anknüpft. Oft kann Lernen älterer Erwerbstätiger als Anschlusslernen verstanden werden, bei dem neues Wissen in die bisherigen Wissensbestände ein- und zugeordnet werden. Dabei fällt es älteren Personen allerdings teilweise schwerer, altes Wissen zur Seite zu legen und durch neues Wissen zu ersetzen, als sich auf Erfahrungswissen zu beziehen. Besondere Schwierigkeiten bei älteren Menschen ergeben sich vor allem bei Prozessen von «Überlernen», d.h. Lerninhalte, die quer zum bisherigen Erlernten liegen.
Kompetenzorientierte Bildungsangebote für und mit älteren Erwerbstätigen müssen deshalb einige wichtige Rahmenbedingungen einhalten. Wichtig sind aus heutiger Sicht namentlich folgende Aspekte:
Bedürfnisorientierte Angebote, die differenziert auf Lebenslage und Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen älterer Frauen und Männer eingehen und in diesem Rahmen auch akzeptieren, dass zunehmend mehr ältere Menschen sich selbst nicht als «alt» einstufen.
Förderung von Selbst- und Mitbestimmung beim Lernen und, soweit möglich, partnerschaftliches Arbeiten mit Menschen, die über viel Lebens- und Berufserfahrung verfügen.
Mitberücksichtigung der bisherigen Lernbiographie und eventuell negativen Erfahrungen mit schulisch-beruflichen Bildungseinrichtungen. Dazu gehört eine Reflexion früherer Lern- und Lehrmethoden im Vergleich zu heute. Verlernte Lernstrategie und vergessenes Wissen müssen aufgearbeitet werden.
Altersgerechte Gestaltung, das heisst genügend Zeit und genügend Pausen, und Berücksichtigung eventueller sensorischer Einschränkungen, z.B. Hörprobleme. Gleichzeitig sind die vorhandenen Lernfähigkeiten auch in höherem Alter immer wieder zu betonen.
In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer Gleichzeitigkeit von allgemeiner Bildungsexpansion und ausgeprägten Veränderungen von Bildungsinhalten und Bildungsformen. Damit haben sich die Ausbildungsunterschiede zwischen den Generationen bzw. zwischen jungen und älteren Personen in einer historisch einmaligen Weise verstärkt.
Erstens waren die heute älteren Erwerbspersonen weniger von der Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte betroffen als nachkommende Generationen. Der Anteil von Arbeitskräften mit Tertiärabschluss ist bei den jüngsten Generationen deutlich höher als bei älteren Erwerbsgenerationen, wie die nachfolgende Grafik klar illustriert.
Zweitens haben sich in nahezu allen Berufen und Fachbereichen die Ausbildungsinhalte (Curricula, Theorien, Praxisansätze) ebenso stark verändert wie die Ausbildungsformate (vermehrte Digitalisierung, blended learning, Teamlernen usw.). 45-jährige Kaderleute beispielsweise wurden in ihrer Erstausbildung mit ganz anderen organisationalen, psychologischen und ökonomischen Theorien und Praxisbeispielen konfrontiert als junge Personen heute. Dasselbe gilt etwa auch für pflegerisch-medizinische Berufe, Designerinnen und Designer, Hotelfachleute, Laborantinnen und Laboranten usw. Die intergenerationellen Bildungs- und Erfahrungsunterschiede sind speziell bei Innovationsunternehmen ausgeprägt, werden aber oft zu wenig reflektiert.
In der schulisch-beruflichen Erstausbildung dominiert weiterhin die klassische Lernpyramide: Junge werden von älteren Erwachsenen angeleitet und gelehrt. In späteren Erwerbsjahren wird im Gegensatz dazu eine Umkehrung der Lernpyramide, von jüngeren Menschen lernen um das Heute zu verstehen, häufiger und bedeutsamer. Speziell für Innovationsunternehmen ist es zentral, dass auch langjährige bzw. ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die neuen Fachansätze und Praxiskonzepte nicht nur kennen, sondern sie auch aktiv mittragen. Geschieht dies nicht, kann dies zu nur halbherzig akzeptierten organisatorischen Veränderungen oder gar zu informellen Innovationsblockaden und zu intergenerationellen Missverständnissen oder Konflikten beitragen. Fachlich-berufliche Erfahrungen älterer Mitarbeitender können bedeutsam sein, aber nur wenn sie kritisch bezüglich neuer fachlich-beruflicher Entwicklungen und Arbeitsweisen reflektiert werden.
Bedeutsam in einer dynamischen Arbeitswelt ist wechselseitiges Generationenlernen, beidseitig auf Augenhöhe. Dies schliesst explizit ein, dass ältere bzw. langjährige Mitarbeitende und Führungspersonen mit neuen Trends, Ideen und Innovationsvorstellungen jüngerer Generationen vertraut gemacht werden, etwa im Rahmen gezielter Innovationsschulungen oder einem aktiven Ausprobieren neuer digitaler Arbeitsformen. Ebenso können gezielte altersgemischte Fokusgruppensitzungen oder Zukunftsworkshops mithelfen, dass auch ältere Mitarbeitende frühzeitig über neue Entwicklungen informiert werden und im Idealfall bei ihrer Realisierung aktiv einbezogen werden. Speziell in Innovationsunternehmen sind regelmässige Formen eines sogenannten «Reverse Mentorings» sinnvoll, d.h. jüngere und neu eingetretene Mitarbeitende führen ältere Mitarbeitende in neue Fachansätze und Arbeitsmethoden ein (Kase et al. 2019). Ein interessantes Ergebnis der Studie von Kase et al. besteht darin, dass junge Mentoren oder Mentorinnen primär durch eine extrinsische Motivation (förderlich für eigene Berufskarriere) geprägt sind, wogegen bei den älteren Personen eine intrinsische Motivation (allgemeine Lernmotivation, generelle Offenheit für Neues) zentraler ist. Der praktische Tipp der Autoren ist, Teilnahmen an Formen des «Reverse Mentorings» vorerst freiwillig zu organisieren und zuerst die motivierten älteren Berufsleute einzubeziehen.
Intensivere Modelle – wie das von der Neustarter-Stiftung durchgeführte «Praktikum Arbeitswelt 4.0» (langjährige Mitarbeitende arbeiten bei Start-Up-Unternehmen als Praktikanten bzw. Praktikantinnen) – sind vor allem für ältere Personen in Führungs- und Leitungsfunktionen wertvoll.
Bei all diesen neuen Formen von Weiterentwicklung älterer Mitarbeitender stehen zwei zentrale Grundsätze im Zentrum: Einerseits geht es darum, auch langjährige Mitarbeitende à jour zu halten und berufliche Erstarrungen (von Silo-Denken bis zu genereller Innovationsmüdigkeit) zu vermeiden bzw. aufzubrechen. Anderseits geht es weniger darum, intergenerationelle Kontakte zu fördern als die Potenziale einer intergenerationellen Diversität zu nutzen.
Bundesamt für Statistik (2018) Lebenslanges Lernen in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2016, Neuchâtel.
Bundesamt für Statistik (2019) Die verschiedenen Generationen auf dem Arbeitsmarkt, BFS Aktuell Oktober 2019, Neuchâtel.
Bundesamt für Statistik (2019) Schweizerische Arbeitskräfteerhebung, Neuchâtel.
Campiche, Roland J. Kuzeawu, Afi Sika (2017) Die jungen Alten: vom Bildungssystem vergessen, Zürich: Seismo-Verlag.
Kase, Robert; Saksida, Tina; Mihelic, Katarina (2019) Skill development in reverse mentoring: Motivational processes of mentors and learners, Human Resource Management 58: 57-69 (https://doi.org/10.1002/hrm.21932
Mehr Informationen zum «Praktikum Arbeitswelt 4.0»