Die Erwerbssituation und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern in späteren Phasen ihres Erwerbslebens haben sich in den vergangenen 30 Jahren deutlich verändert. In diesem Artikel wird auf die Trendentwicklungen bei Personen im Alter von 55 bis 64 Jahre eingegangen, speziell hinsichtlich der Erwerbssituation innerhalb dieser Altersgruppe sowie im Vergleich mit jüngeren Erwerbstätigen. Die Informationen stützen sich auf ein Datendossier basierend auf der Schweizerische Arbeitskräfte-Erhebung (SAKE), welche seit 1991 durchgeführt wird.
Aufgrund von mehr vorzeitigen Pensionierungen sanken die Erwerbsquoten 55-64-jähriger Männer zwischen 1991 und 2000. Danach stabilisierten diese sich zunächst und in den letzten fünfzehn Jahren stiegen sie erneut an. Bei den gleichaltrigen Frauen ist ein kontinuierlicher Anstieg der Erwerbsquoten feststellbar. Der Hauptgrund hierfür liegt in der erhöhten Erwerbsbeteiligung neuer Generationen von Frauen. Auffällig ist, dass der Anteil an Frauen, die sich als «Hausfrauen» einstufen, deutlich abgenommen hat. Während sich 1991 noch 32% der 55-64-jährigen Frauen als Hausfrauen bezeichneten, waren dies 2020 nur noch 6%. So erstaunt es wenig, dass infolgedessen 55-64-jährige Frauen deutlich häufiger teilzeitlich arbeiten als noch vor 30 Jahren. Das Erwachsenwerden der Kinder scheint somit kaum zur (Wieder-)Aufnahme von Vollzeitarbeit, sondern eher zur Aufstockung von Teilzeitpensen beizutragen. Der Anteil an deklarierten Hausmännern hat sich hingegen kaum erhöht und liegt 2020 wie schon drei Jahrzehnte früher in allen Altersgruppen unter 1%.
In den letzten Jahrzehnten haben Strukturwandel und Umorganisationen zeitweise zu einer erhöhten Zahl an langfristig älteren Arbeitslosen beigetragen. Erwerbspersonen höheren Alters haben in der Schweiz zwar nicht generell ein klar grösseres Risiko arbeitslos zu werden als jüngere Personen, bei Arbeitslosigkeit ist ihr Risiko jedoch deutlich höher, langzeitlich arbeitslos zu verbleiben. Zusätzlich zu den arbeits- bzw. erwerbslosen Personen zeigt sich eine nicht unbeträchtliche Zahl von unterbeschäftigten Frauen und Männer – d.h. Erwerbstätige, die ein höheres Erwerbspensum wünschen, welchen dieses aber aus unterschiedlichen Gründen verwehrt bleibt.
Der Anteil an selbständig erwerbstätigen Personen steigt mit dem Alter an. Dabei hat sich der Altersverlauf in den letzten Jahrzehnten verändert. Während von 1991-95 der Höhepunkt einer selbständigen Erwerbsarbeit bei den 40-Jährigen zu beobachten war, hat sich das Muster bis 2018-2020 nach hinten verschoben: 27- bis 47-Jährige sind heute weniger oft selbständig tätig als früher. Der Anteil der Selbständigen bei den über 50-Jährigen hat sich hingegen erhöht. Darin widerspiegeln sich zwei Trends: Erstens wird eine selbständige Erwerbsarbeit in der zweiten Berufshälfte häufiger und zweitens arbeiten Selbstständige meist länger als Angestellte.
Strukturveränderungen der Wirtschaft sind auch mit Veränderungen der beruflichen Verhältnisse verbunden. Eine besonders ausgeprägte Veränderung ist die relative wie absolute Zunahme an akademischen Berufen. Im Gegenzug haben handwerkliche Berufe und die Bedienung von Anlagen und Maschinen an Verbreitung eingebüsst. Dies gilt auch für Hilfsarbeitskräfte. Erwartungsgemäss sind auch heute bedeutsame Unterschiede der beruflichen Stellung nach Geschlecht feststellbar. 55-64-jährige Männer sind etwa weiterhin häufiger in Führungspositionen tätig als gleichaltrige Frauen.
Die grosse Mehrheit der 55-64-jährigen Erwerbstätigen ist schon seit fünf Jahren und länger im aktuellen Betrieb beschäftigt. 6% haben jedoch innerhalb der letzten zwölf Monate den Betrieb gewechselt und weitere 8% sind weniger als drei Jahre im gleichen Betrieb aktiv. Insgesamt hat gut ein Fünftel der 55-64-jährigen Erwerbstätigen in den letzten fünf Jahren den Betrieb gewechselt – was eine nicht unbeträchtliche berufliche Mobilität auch in späteren Erwerbsjahren bedeutet. Ein klarer Trend zu einer erhöhten beruflichen Mobilität in späteren Erwerbsjahren kann allerdings im Vergleich 1991-2020 nicht festgestellt werden.
Eine populäre These ist, dass in einer globalisierten und dynamischen Arbeitswelt dauerhafte, zeitlich unbefristete Anstellungen bei Arbeitnehmenden an Bedeutung verloren hätten. Anstelle einer dauerhaften Anstellung seien kurzfristige Arbeitsverträge – wie Praktika, Projektarbeit und andere Formen einer zeitlich begrenzten Arbeitsform – häufiger geworden. Der Zeitvergleich 1991 bis 2020 belegt, dass diese These für die Schweiz nicht generell zutreffend ist. Eine abnehmende Tendenz von Arbeit in dauerhafter Anstellung (Arbeitsvertrag ohne zeitliche Limitierung) zeigt sich einzig bei der jüngsten Altersgruppe (wo Praktika und Formen von Volontariaten häufiger wurden). Die über 40-jährigen Arbeitnehmenden arbeiten hingegen weiterhin zu gut 94-96% in zeitlich unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Bei den älteren Männern verblieb der Anteil der Personen mit dauerhafter Anstellung auf einem hohen Niveau und bei den Frauen hat sich der Anteil mit unbegrenztem Arbeitsvertrag sogar leicht erhöht.
Das bei allen Altersgruppen häufigste Arbeitszeitmodell ist gegenwärtig das klassische Modell mit fixem Arbeitsbeginn und -ende. Von den 55-64-jährigen Arbeitnehmern unterliegen 46% einer fixen Arbeitszeitregelung wogegen dies bei den gleichaltrigen Arbeitnehmerinnen 64% betrifft. An zweiter Stelle der Arbeitszeitmodelle stehen Wochen- bzw. Monatsarbeitszeiten, wobei ein Modell mit Blockzeiten häufiger ist als ein Modell ohne Blockzeiten. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Modell von Jahresarbeitszeiten immer mehr verbreitet. Im Altersgruppenvergleich zeigt sich, dass dieses Modell bei älteren männlichen Arbeitnehmern leicht stärker zur Anwendung kommt als bei jüngeren Arbeitnehmern.
In der modernen Dienstleistungsgesellschaft wird immer häufiger am Wochenende gearbeitet und diverse Tätigkeitsfelder benötigen rund um die Uhr Arbeitskräfte. Gleichzeitig haben klassische Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Bestrebungen zur Flexibilisierung von Produktionsprozessen an Bedeutung eingebüsst. Es ist zu erwarten, dass von solchen Entwicklungen auch ältere Erwerbstätige mitbetroffen sind. Allerdings zeigt sich gerade bei älteren bzw. langjährigen Erwerbstätigen nur ein leichter Trend in Richtung atypischer Arbeitsverhältnisse. Arbeit auf Abruf beispielsweise ist bei älteren Arbeitnehmenden nicht häufiger geworden. An Bedeutung gewonnen hat in den letzten zwanzig Jahren allerdings Schichtarbeit (d.h. wechselnde Arbeitszeiten je nach Einsatzplan), was etwa mit längeren Ladenöffnungszeiten oder flexiblen Arbeitszeiten in der Produktion verbunden ist.
Der Anteil an Erwerbstätigen, die normalerweise (d.h. während mehr als der Hälfte ihrer Arbeitszeit) von zu Hause aus arbeiten, hat sich in letzten zwei Jahrzehnten nur leicht erhöht. Grösser geworden ist hingegen der Anteil an Erwerbstätigen, die gelegentlich oder regelmässig digitale Heimarbeit verrichten. Speziell die COVID-19-Pandemie und die dabei eingeführten Einschränkungen direkter Kontakte haben 2020 verständlicherweise zu einer raschen Expansion der Arbeit von zu Hause geführt.
In der Schweiz bewegt sich das durchschnittliche Alter beim Austritt aus dem Arbeitsmarkt bzw. beim Übergang in die nachberufliche Lebensphase seit Jahren relativ nahe beim ordentlichen Rentenalter. Eine Ausnahme bilden selbstständig erwerbende Personen: sie arbeiten häufig über das 65. Altersjahr hinaus. Auch freiberuflich tätige Fachleute, Wissenschaftlerinnen oder Personen im Kunst- und Unterhaltungsbereich sind oft auch nach 65 weiterhin erwerbsaktiv. Baugewerbe, Verkehrsbranche und namentlich Kredit- und Versicherungssektor sind umgekehrt durch ein relativ tiefes Austrittsalter gekennzeichnet.
Die Durchschnittswerte verbergen allerdings grosse Verhaltensunterschiede von Pensionierungsentscheidungen. Bezogen auf alle Erwerbspersonen (selbstständig Erwerbende und Arbeitnehmende) ist der Anteil derjenigen, die sich mindestens ein Jahr früher pensionieren lassen, beträchtlich (39% der Männer, 30% der Frauen). Nicht selten ist aber auch eine zweijährige oder dreijährige Frühpensionierung. Von Bedeutung für die Frühpensionierungen sind einerseits körperlich-psychische Arbeits¬belastungen, andererseits sind auch sozialpolitischen Regelungen bedeutsam. Personen mit hohen Einkommen und gut abgesicherten Frühpensionierungsregelungen können sich eine vorzeitige Aufgabe der Erwerbsarbeit eher leisten als Personen in Tieflohnberufen mit geringen Rentenansprüchen.
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