Elisabeth Michel-Alder ist Gründerin des Silberfuchs Netzwerks, Unternehmensberaterin, Buchautorin und Promi in Sachen «Ältere in den Arbeitswelten der Zukunft» – wir durften mit ihr über genau dieses Thema und über ihr neuestes Buch «Länger leben – anders arbeiten» sprechen.
Nach langer Ausbildungszeit trat ich mit 28 meine erste unbefristete Stelle als Adjunktin im Bereich Hochschulreform an. Voller Ideen und Engagement, aber ohne Plan oder Projekt für eine berufliche Laufbahn.
In der Arbeit sah ich immer eine Chance, über mich hinauszuwachsen, zu kooperieren und in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu wirken. Arbeit und Liebe sind die zentralen menschlichen Handlungsfelder, wobei ich bei «Arbeit» natürlich nicht nur an Erwerb denke. Vielen Menschen – Frauen, Geringqualifizierten, Zugewanderten, Älteren – Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, ist eine Art Passion. Mein Vater starb hellen Geistes mit 98 Jahren und seine lange «Ruhigstellung» nach 65 leuchtete mir nie ein, auch wenn er sich freiwillig verpflichtete und keine Langeweile kannte.
Zwei Antworten: Erstens braucht der Lebenslauf einen anderen Rhythmus und andere Tankstellen für Ressourcen, wenn die Hälfte der heute Zwanzigjährigen über 100 wird und rund 60 Jahre lang Erwerbsarbeit leistet. Zweitens sind die Erfahrungen Vieler im Arbeitsalltag weit weniger positiv, als sie sein könnten. Stichwörter sind Stress, fehlende Wertschätzung, Führungsmängel. Was ü65 reizt, sind sinnvolle Tätigkeit, weiterlernen, Einbettung in einen Kollegenkreis, Anerkennung, gut gegliederte Tage und zeitliche Freiräume, also Teilzeitverpflichtungen. Und Einkommen zur Aufbesserung schmaler Renten.
Als Unternehmensberaterin erfahre ich immer wieder, dass Firmen ja nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern auch Menschen produzieren. Wo Entwicklung und Kompetenzerweiterung sozusagen in der Luft liegen, die Aufgabenportfolios immer wieder wechseln und Jobs rotieren, bleiben die Mitarbeitenden neugierig und beweglich. Wer als Firma Personen mit Standardmerkmalen rekrutiert, Mitarbeitende in langjährige Routine verlocht, mittels Direktiven steuert und Anpassung höher schätzt als abweichendes Denken, verwirkt nach meiner Meinung das Recht, über Angst vor Veränderungen zu klagen oder mangelnde Flexibilität zu geisseln. Die Wechselwirkung zwischen Personen und Umgebung ist eine prägende Konstante. Unternehmen, die Fehler der Vergangenheit schlagartig korrigieren wollen oder müssen, brauchen eben besonders clevere Ideen und Methoden, um eingeschlafene Beweglichkeit neu zu wecken und zu trainieren.
Erfahrung muss sich als Kompetenzen beschreiben und nachweisen lassen, sonst bleibt sie eine Leerformel. Nicht wenige Personen haben zwar viel erlebt, doch das Erfahrene ist kaum reflektiert oder verarbeitet und deshalb selten mit Gewinn in neue Zusammenhänge transferierbar. Darf ich etwas provozieren? Erfahrung macht allzu oft dumm, weil Menschen etwas zu wissen meinen, das überholt ist oder nur in anderen Kontexten gilt.
Lust auf neue Themen belegt man vermutlich am besten durch aktive Teilnahme an entsprechenden Diskussionen. Anschlussfähigkeit ist hier der Schlüsselbegriff; man gewinnt sie durch erworbene Kenntnis der aktuellen Diskussion und indem man Fragen stellt, kaum durchs Präsentieren alter Hüte.
Ab 45, 50 werden Beförderungen und Lohnerhöhungen selten, Mitarbeitende hören auf, für höhere Aspirationen auf die Zähne zu beissen. Jobs werden weniger leichtfüssig gewechselt. Damit wachsen die qualitativen Ansprüche an den Arbeitsalltag in verschiedener Hinsicht. Abwechslungsreiche Aufgaben und Beziehungen sind wesentliche Motivatoren.
Schon Schulkinder zeigen wesentlich bessere Leistungen im Austausch mit Lehrpersonen, die ihnen viel zutrauen als mit «neutralen» Instruktoren; wieso sollte dies bei reiferen Erwerbstätigen nicht genau gleich funktionieren? Fünfzigjährige sind ja oft mit abwertenden Stereotypen konfrontiert, man wähnt sie auf dem absteigenden Ast. Bestes Mittel gegen aufkommende Selbstzweifel sind Vorgesetzte und KollegInnen, die Topleistungen erwarten, fordern und unterstützen.
Neulich hat mir ein etwas über 50-jähriger Leiter einer Abteilung mit etwa 10 Mitarbeitern im Team, die meisten jünger als er, gesagt: «Ich sehe keine Probleme in der Kommunikation zwischen Alt und Jung.» Dann wurde er nachdenklich und schob schmunzelnd hinterher: «Allerdings, kann ich nicht in den Kopf der Jüngeren schauen.» Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man in altersgemischten Teams meistens auf qualitativ hochwertigere Lösungen kommt. Dennoch erzeugt die teils unterschiedliche Sprache manchmal unnatürliche Situationen, in denen je nach Kontext die ältere oder jüngere Person sich im Grunde verstellt, was natürlich anstrengend und nicht kreativitätsfördernd sein kann.
Die Feststellung, dass altersdurchmischte Teams produktiver seien als homogene, hören wir ja gern, doch so einfach funktioniert die Welt nicht. Solchen Aussagen ohne Kontext und Aufgabenstellung begegne ich mit Skepsis. Alter ist doch – wie Geschlecht – bloss eine Variable in arbeitsteiligen, multidisziplinären Teams. Ausgesprochen jugendliche Kulturen in hochaktuellen Branchen – die Google-Belegschaft hat ein Durchschnittsalter von rund 30 – werden kaum erfolgreicher mit ein paar zusätzlichen 50- und 60-Jährigen… Abgesehen davon zeigen Beobachtungen seit langem unmissverständlich, wie und unter welchen Umständen Mehrheitskulturen «Andere» ohne Absicht an den Rand drängen, damit in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und über kurz oder lang zum Rückzug drängen. Sprachgebrauch, Du-Kultur, Kleiderordnung (Hoodies!), gemeinsame Freizeitaktivitäten usw. können schwer überbrückbare kommunikative Unterschiede in Teams herstellen, die negative Gefühle nähren und die Zusammenarbeit belasten. Lesen Sie im Buch Genaueres dazu!
Die Welt ist im Aufruhr, niemand wagt ernsthafte Prognosen zur Arbeitswelt nur schon für 2020.Wünsche kann ich dagegen leicht formulieren. Der Jahrgang ist je länger je mehr ohne Informationswert, die individuellen Unterschiede sind enorm. Wir erleben Jugendgreise neben frischen Müttern im Pensionsalter. Ich gebe gern Impulse für eine Arbeitswelt, in der in jeder Lebensdekade bis ans Ende (mit der nötigen Kompetenz) alles möglich ist: Wechselnde Aufgaben in Projekten, 120% Engagement bei der Steuerung von Unternehmen, Eltern- und Enkelzeit, Erwerb ganz neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten, Neustarts, Sorge für nahe Menschen, ehrenamtliche Engagements, Auslandeinsätze, Teilzeit- und Vollpensen in sinnvoller Wertschöpfung und Promotionen mit 90.
Am Montag, den 23.04. findet die Vernissage zum Buch «Länger leben – anders arbeiten» im Theater Stadelhofen statt und Frau Michel-Alder hat, wie immer sehr spannende Gesprächspartner eingeladen. Alle Infos zu dem Abend finden Sie hier: Buchvernissage «Länger leben, anders arbeiten». Wer gut vorbereitet sein mag, hat noch Zeit, das Buch vorab zu kaufen und zu lesen. Bestellen kann man es in der Schweiz und auch in Deutschland.