HansRuedi Keller ist vor Kurzem 65 Jahre alt geworden. An die Pensionierung denkt er aber noch nicht, das Füsse-Hochlegen muss noch warten. HansRuedi «will» nicht nur, sondern «muss» weiterarbeiten, da er sein Kapital sein Leben lang immer wieder reinvestiert hat. Ein Interview mit dem IT-Pionier und Gestalter HansRuedi Keller.
Meine berufliche Laufbahn begann fliessend, konkret bereits während der Primarschule. Da mein Vater Berufsberater war, öffnete er mir jeweils während den Schulferien die Türe zu einer Firma und ich absolvierte sogenannte «Schnupperlehren». So kam ich zum Beispiel beim Grossisten BERRI in Zürich mit Früchten und Gemüse für die Gastronomie in Kontakt. Bei LANDIS+GYR in Cham erlernte ich das Löten von Leiterplatten und baute mein erstes elektronisches Gerät. Da er auch der Entwickler des NST (Neigungs-Struktur-Test) war und die Auswertungen vor 50 Jahren zu digitalisieren begann, also zu einer Zeit ganz ohne PCs, kam ich auch sehr früh am ehemaligen Hauptsitz der IBM am General-Guisan-Quai in Zürich mit IT in Kontakt.
Parallel dazu begann ich mit einer «Super Baldina» (Baujahr 1938) meines Grossvaters zu fotografieren, natürlich analog und schwarzweiss auf 35mm-Film. Diese Balgenkamera besitze ich heute noch. Ich durfte sie kürzlich anlässlich meiner Fotoausstellung in der Buchhandlung «Never Stop Reading» den Besucher:innen der Vernissage präsentieren.
So wurde der Grundstein gelegt zu meiner Vielseitigkeit. Leider verläuft das Leben nicht immer geradlinig. So musste ich aus familiären Gründen – mein Vater starb dann nach kurzer schwerer Krankheit, als ich erst 18 Jahre alt war – bereits nach der Mittelschule ganz normal zu arbeiten beginnen. Als Sohn einer Krankenschwester, wie man damals noch sagte, wollte ich Humanmedizin studieren, landete dann aber, wie du in deiner Frage erwähnt hast, 1993 als Pioniermieter mit IT und dem Thema Workflow im grafischen Gewerbe, mit Standort im Technopark Zürich.
Im Alleingang und mit Gestaltung hatte es bei schwarzaufweiss 1983 begonnen, damals noch in einer Dachwohnung in Affoltern am Albis, also quasi im Homeoffice! 10 Jahre später waren wir dann im Technopark in Zürich ein Team, gerade etwa so gross wie euer aktuelles Team bei Loopings. Ohne die Struktur als KMU und später der Rechtsform als AG hätten uns IT-Kundinnen wie Ringier und Tages-Anzeiger und Lieferanten wie SGI, dem Pionier für Grafik-Supercomputer, und Xinet für Workflow-Software aus den USA nicht ernst genommen.
Jetzt schliesse ich in gewissem Sinn den Kreis und bin mit Gestaltung zurück beim Ursprung und im Elternhaus in Aesch, aber selbstverständlich nach all den Jahren gut vernetzt, was ja heute auch einer bewährten «Unternehmensform» entspricht. Begriffe wie Coworking, Open-Source und aktuell natürlich «künstliche Intelligenz» (KI) zeugen von grundlegenden Veränderungen im Arbeitsmarkt. Über die Zeit habe ich eine kritische Haltung zu Technologie entwickelt, auch im Zusammenhang mit den Problemen rund um den rasanten Klimawandel. So einfach wird es wohl nicht sein, dass uns «die Technik» rettet, wie gewisse Kreise gerne propagieren.
Geprägt hat mich in diesem Zusammenhang auch, was bereits 1987 in der Gedenkschrift für Walter Bosshard, einem ehemaligen Direktor des WSL (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, die Red.) und Bruder meiner Mutter stand:
Unser Zeitgeist ist geprägt vom Glauben an die fast grenzenlosen Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, vom Glauben an den Sinn des technischen Fortschritts, vom Glauben an die Machbarkeit fast aller Dinge und vom Glauben, grösserer Wohlstand verschaffe zwingend mehr individuelle Freiheit. Wer glaubt, ist in einer bequemen Lage, er braucht sich mit den Tatsachen nicht auseinanderzusetzen.
Walter BosshardGerade auch im erwähnten Zusammenhang will ich mich für «sinnvolle Kommunikation» engagieren, wie ich es auf der Website von schwarzaufweiss nenne. Meine Erfahrung soll dazu beitragen, sinnstiftend zu wirken. Ich denke, es geht je länger desto dringender nicht nur um persönliche, also individuelle Entwicklung – also Selbstentfaltung – sondern primär um eine kollektive, gesellschaftliche Entwicklung, um unsere Selbsterhaltung. Und dabei wird Kommunikation eine wichtige Rolle spielen – wobei KI kein Wundermittel sein wird!
Das ist die eine, eher emotionale Motivation, die Sinnstiftung. Mehr WIR als ICH. Und dann geht es bei mir auch einfach um materielle Selbsterhaltung. Ich hatte immer alles reinvestiert. Ich «will» also nicht nur, ich «muss» weiterarbeiten.
Mein Arbeitspensum musste ich im Vergleich zu jungen Jahren mit 7-Tage-Wochen und sehr viel Nachtarbeit auch aus gesundheitlichen Gründen reduzieren. Burnout, Trennung und intensive Therapie, das habe ich alles hinter mir.
Und «weitermachen wie gehabt» gab es in meiner Laufbahn noch nie, im positiven wie auch im negativen Sinne. Meinen Markt für IT im grafischen Gewerbe gibt es kaum noch. Dies ist ein naheliegender Grund, wieder zurück zu den Wurzeln zu gehen und wieder zu gestalten. Statt Arbeitsformen im Rahmen der Digitalisierung gestalte ich wieder kreativ. Meine persönlichen Werte haben sich dabei erhalten, nur stehen diese heute in einem grundlegend anderen Kontext.
Ich denke, es gibt keinen bedeutendsten Looping in meiner Laufbahn. Meine Karriere war eine Aneinanderreihung von kleinen und grösseren Loopings. Ich stehe darum auch dem Wort «Berufung» kritisch gegenüber. Die meisten Menschen dieser Welt können nicht Berufung leben, können nicht einfach ihren CV optimieren. Die meisten Menschen müssen, privat und beruflich, immer wieder einmal zurück zu einem Anfang. Geradlinige Lebensläufe sind oft privilegierte Verläufe. Realität sind oft auch Brüche. Dann gilt es, den Looping zu schaffen – und dabei auch einmal Hilfe in Anspruch zu nehmen, in Anspruch nehmen zu können.
Empfehlenswerte Lektüre: Tätigkeit in der Postwachstumsgesellschaft