Über Job- und Topsharing

De Bernadette Höller, 05. juillet 2021

Auf der neuen Plattform WEshare1 dreht sich alles um Job- und Topsharing. Wir haben mit der Gründerin Karin Ricklin gesprochen und sie gefragt, für wen das Modell Sinn macht und was es für Unternehmen und Mitarbeitende bedeutet.

Liebe Karin, Glückwunsch zur neuen Plattform WEshare1! Wie kamst du darauf?

Sowohl im beruflichen wie auch im privaten Umfeld bin ich immer wieder auf folgende Situation gestossen: Personen verfügten zwar über viel Potential, konnten dies aber nicht entfalten, da ein vollzeitnahes Pensum zwingende Voraussetzung dafür gewesen wäre. Entweder erlaubten die aktuellen Lebensumstände kein vollzeitnahes Pensum, oder es bestand aufgrund unterschiedlicher Gründe der Wunsch, in einem reduzierten Pensum zu arbeiten.

Beobachtet habe ich das zum Beispiel bei wiedereinsteigenden Müttern bzw. Eltern generell, Personen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit Alter 50plus oder bei Berufseinsteigenden. Auch ich selbst erlebte, wie schwierig es sein kann, nach der Mutterschaft in Teilzeit eine verantwortungsvolle Stelle zu finden. Das kann man monieren und sich darüber ärgern. Viel spannender finde ich jedoch den Blick nach vorne: Gibt es Lösungsmöglichkeiten für diese Herausforderungen? Und in der Tat, die gibt es. Job- und Topsharing sehe ich als grossartige Möglichkeit, kreativ auf diese Herausforderungen zu reagieren und einen Mehrwert sowohl für die Angestellten als auch die Unternehmen zu bieten.

Welche Vorteile siehst Du denn für die Unternehmen?

Grundsätzlich wirken sich flexible Arbeitsmodelle wie Job- und Topsharing positiv auf die ArbeitgeberInnenmarke aus. Dies erhöht die Chance der einzelnen Unternehmen, sich im «war for talents» behaupten zu können. Zudem bietet insbesondere Topsharing, also Jobsharing mit Führungsverantwortung, Unternehmen die Möglichkeit, mehr Diversität und Inklusion auf Führungsstufe zu erreichen. Durch die grössere Spannbreite des Pensums können automatisch auch Talente angesprochen werden, für welche Vollzeitstellen oder vollzeitnahe Pensen aufgrund der aktuellen Lebensumstände nicht in Frage kommen.

Einen weiteren entscheidenden Faktor sehe ich in der breiten Abdeckung: Ein Duo, welches sich hinsichtlich Kompetenzen, Erfahrungen und Ausbildungen optimal ergänzt, kann die Anforderungen eines Stellenprofils vollständig abdecken. Mit nur einer Person ist dies in der Regel kaum möglich.

Und schliesslich federn Job- und Topsharing das Risiko ab, dass eine Person bei Austritt das ganze Wissen und Netzwerk mitnimmt. Denn es ist immer noch eine oder einer da, die/der über das Wissen und Netzwerk verfügt und dieses dem Unternehmen weiter zur Verfügung stellen kann. Das intergenerationelle Job- oder Topsharing, bei dem sich jüngere Menschen mit älteren Menschen eine Stelle teilen, kann hierzu ein sehr spannender, und insbesondere auch nachhaltiger, Ansatz sein.

Karin Ricklin von WEshare1

Was haben Arbeitnehmende davon?

Insbesondere Topsharing bietet die Möglichkeit, eine spannende, herausfordernde Stelle in Teilzeit ausüben zu können. Dies wirkt sich positiv auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben aus. So lassen sich z. B. Familie, Hobbies oder Weiterbildungen mit dem Beruf vereinbaren, ohne dass ein Karriererückschritt in Kauf genommen werden muss, Stichwort: «Karrierekiller Teilzeit». Weiter ergibt sich mit diesem Arbeitsmodell die Chance, auf Augenhöhe mit einer Sparring-Partnerin oder einem Sparring-Partner im konstanten Austausch zu sein, Entscheide gemeinsam zu reflektieren oder sich bei schwierigen Situationen gegenseitig zu unterstützen. Insbesondere, wenn das Duo sich in seinen Kompetenzen ergänzt, können beide zudem viel voneinander lernen und sich so laufend weiterentwickeln. Im Kontext von lebenslangem Lernen ein grosses Plus.

Klingt ja toll. Also ein Modell für jeden und jede?

Damit dieses Modell funktionieren kann, bedarf es auf beiden Seiten – Arbeitnehmenden wie Arbeitgebenden – zentraler Voraussetzungen. Wenn zwei, die einen Job miteinander teilen wollen, sich nicht sympathisch sind, unterschiedliche Visionen verfolgen, eher im «ich» als im «wir» denken, wenig gemeinsame Werte haben und sich – im Falle von Topsharing – im Führungsstil markant unterscheiden, ist der Misserfolg vorprogrammiert.

Job- und Topsharing bedeuten grundsätzlich, sich immer wieder neu auf das Gegenüber einzustellen und die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen. Ist diese Flexibilität nicht bei beiden Personen gegeben, wird es schwierig. Ebenso wird es kritisch, wenn zwar seitens des Duos alles passt, das Commitment des Managements für dieses Modell aber nicht gegeben ist. Die Bereitschaft, dem Duo insbesondere zu Beginn die nötige Unterstützung entgegen zu bringen, ist eine wichtige Voraussetzung. Es ist daher essenziell, dass sich Arbeitnehmende wie auch Arbeitgebende im Vorfeld gut vorbereiten.

Du hast vorher erwähnt, dass auch Vorbehalte bestehen, im Sinne von: Zu kompliziert, zu aufwändig. Ist das in dem Falle nur ein Mythos?

Aus Unternehmenssicht ist es wichtig, im Rekrutierungsprozess gezielt darauf zu achten, wie intensiv sich das Duo auf das Teilen der gemeinsamen Stelle vorbereitet hat. Wie soll zum Beispiel der Informationsfluss untereinander effizient gestaltet werden? Es sollte also konkret nochmals geprüft werden, ob die Voraussetzungen, über die wir soeben gesprochen haben, erfüllt sind. Ist das der Fall, ist es im Gegenteil eher so, dass das Risiko für Missverständnisse geringer ist, da bereits im Vorfeld eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass der Informationsfluss durch die fortschreitende Digitalisierung mittlerweile sehr effizient gestaltet werden kann. Eine Führungskraft hat mir kürzlich gesagt, dass sie es eher als eine Entlastung betrachte, ein Duo zu führen anstelle einer Einzelperson. Es geschehe viel mehr an Austausch und Reflexion innerhalb des Duos, was vorher zwischen ihr und der einzelnen Führungskraft stattgefunden habe. Diesen Zeitgewinn schätze sie sehr.

Bei so vielen Vorteilen müsste das Modell ja eigentlich weit verbreitet sein. Gibt es aktuelle Zahlen zur Verteilung von Job- und Topsharing in der Schweiz?

Bisher wurden die Zahlen schweizweit vom Bundesamt für Statistik (BFS) und von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) erhoben. Gemäss BFS arbeiteten 2016 knapp 4% der Angestellten in einem Jobsharing. Das BFS unterschied dabei nicht, ob es sich um ein Jobsharing handelte oder um ein Topsharing. In der Studie der FHNW von 2014 gaben 27% der 384 befragten Unternehmen an, dass sie über Jobsharing im Betrieb verfügten. Bei einem Viertel davon handelte es sich um ein Topsharing. Wie Du siehst, ist Job- und Topsharing noch ein Nischenphänomen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass das Modell immer mehr an Fahrt aufnimmt und bin gespannt, welche Zahlen bei der nächsten Erhebung des BFS resultieren. Unser Ziel bei WEshare1 ist es, dass sich die Zahl der Menschen, die in der Schweiz im Job- oder Topsharing arbeiten, bis 2025 von 4% auf 8% verdoppelt.

Was braucht es, damit Ihr dieses Ziel erreichen könnt?

Eine der Schlussfolgerungen in der erwähnten Studie der FHNW war, dass nicht Desinteresse, sondern ein Informationsdefizit dafür verantwortlich sein könnte, dass das Modell noch zu wenig zum Tragen kommt. Dies deckt sich mit meiner Erfahrung. Das Interesse für Job- und Topsharing ist jeweils gross, aber nur wenige wissen tatsächlich, was konkret damit gemeint ist. Oder aber es bestehen Vorbehalte, eben im Sinne von: zu kompliziert, zu aufwändig. Der Hauptfokus bei WEshare1 besteht daher momentan darin, Geschichten zu erzählen über jene, die dieses Modell erfolgreich leben, und zwar in den unterschiedlichsten Konstellationen und Branchen. Wir wollen damit aufzeigen, dass Job- und Topsharing nicht nur funktionieren, sondern einen grossen Mehrwert für beide Seiten bieten können: Sowohl für die Unternehmen als auch deren Angestellte.

Was finde ich noch auf WEshare1, nebst diesen Inhalten?

Damit Job- und Topsharing in der Schweiz noch stärker Fuss fassen, braucht es wie erwähnt Information, Sensibilisierung und auch das nötige Rüstzeug für die konkrete Umsetzung. All dies stellen wir mit unseren drei Säulen zur Verfügung: «Facts & Figures», «WEshare1 Community» und «Angebot». Die nötigen Informationen gibt es bei «Facts & Figures». Dort existiert quasi ein kleines Wikipedia für Job- und Topsharing, komplett kostenfrei. Im Rahmen der «WEshare1 Community» bloggen wir über das Thema und erzählen die erwähnten Geschichten. Zudem bringen wir in unserer Community Menschen zusammen, die sich fürs Thema interessieren. Einen wichtigen Beitrag leisten hier die WEshare1-Botschafterinnen und -Botschafter, welche für Job- und Topsharing brennen und mit ihrem Engagement dazu beitragen, dass wir unsere hoch gesteckten Ziele erreichen können. Das nötige Rüstzeug stellen wir unter «Angebot» zur Verfügung, wo wir sehr stark in Kooperationen arbeiten.

Wichtig ist mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass WEshare1 nur darum in so kurzer Zeit online gestellt werden konnte, weil mich zahlreiche Menschen unterstützt haben. Insbesondere den «Facts & Figures» Teil gäbe es nicht ohne das ausserordentliche Engagement von Irenka Krone-Germann, die sich mit ihrem Verein Part Time Optimisation (PTO) seit Jahren für Job- und Topsharing einsetzt und Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet hat.

Karin Ricklin und WEshare1 im Web

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