Die Ergebnisse der Masterarbeit von Alina Schmidt haben gezeigt, dass die Bogenkarriere zwar ein zukunftsweisendes Modell ist, aber noch wenig institutionell verankert ist und stark von kulturellen Veränderungen abhängt. Alina studiert Arbeits- und Personalmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Ein Interview.

Mein Interesse an der Bogenkarriere wurde im Diversity-Seminar meines Studiengangs durch meinen Professor geweckt. Dort habe ich zum ersten Mal von diesem Laufbahnmodell gehört – zuvor kannte ich es, wie viele andere auch, gar nicht unter diesem Begriff. Besonders spannend fand ich, dass das Modell zeigt, wie vielfältig berufliche Wege heute sein können und dass Erfolg nicht zwangsläufig linear verlaufen muss. Mich hat fasziniert, wie Menschen durch bewusste Richtungswechsel neue Perspektiven gewinnen und dadurch oft zufriedener und erfolgreicher werden.
Die Bogenkarriere ist ein Karrieremodell, bei dem Führungskräfte in späteren Berufsphasen oder aus persönlichen Gründen bewusst Verantwortung abgeben, etwa aus gesundheitlichen Gründen, familiären Veränderungen oder durch den Wertewandel. Dieser Schritt wird nicht als Rückschritt oder «Karriereknick» verstanden. Man verspricht sich davon unter anderem eine Entlastung von Führungskräften, mehr Selbstbestimmung, Wissenstransfer an jüngere Mitarbeitende sowie eine sanfte Übergangsphase in den Ruhestand.
Die Arbeit basiert auf einer qualitativen Studie mit sieben leitfadengestützten Interviews, die mit Expertinnen und Experten aus HR, Coaching und Beratung geführt wurden. Die Auswertung erfolgte mittels einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse.
Theoretisch stützt sich die Arbeit auf bestehende Forschung zu alternativen Karrieremodellen (u. a. Blazek et al., 2011; Engler et al., 2016; Gruhlich, 2023; Hirschi, 2019; Meyerhofer Fahlbusch, 2024; Weinland, 2019).
Die Ergebnisse zeigen, dass die Bogenkarriere ein zukunftsweisendes Modell ist, aber noch wenig institutionell verankert ist und stark von kulturellen Veränderungen abhängt. Sie könnte in Zukunft relevanter werden, insbesondere im Kontext von Fachkräftemangel und demografischem Wandel, jedoch nicht kurzfristig zur Norm.
Die wichtigsten Erkenntnisse meiner Studie über die Bogenkarriere:
Potenziale: Wissenserhalt, Fachkräftesicherung, Steigerung der Arbeitgeberattraktivität, Individualisierung
Chancen: Flexiblere Erwerbsbiografien, Sinnstiftung, Motivation und längere Erwerbstätigkeit
Bei der Einführung und Umsetzung von Bogenkarrieren stossen Unternehmen wie auch Erwerbstätige auf verschiedene Herausforderungen. Eine zentrale Hürde ist die nach wie vor negative Konnotation des Modells – oft wird der Wegfall von Verantwortung als «Rückschritt» oder gar als «Karriereknick» wahrgenommen. Hinzu kommen Status- und Einkommensverluste, da Vergütungssysteme meist nicht auf alternative Karriereverläufe ausgelegt sind und eine entsprechende Anpassung oft fehlt. Auch arbeitsrechtliche Aspekte erschweren die Umsetzung: vertragliche und tarifliche Regelungen sowie Mitbestimmungsrechte setzen enge Rahmenbedingungen. Zudem ist die Fixierung vieler Organisationen auf klassische Führungslaufbahnen tief in der Unternehmenskultur verankert, was alternative Modelle wie die Bogenkarriere zusätzlich hemmt. Nicht zuletzt fehlt es an einer breiten Institutionalisierung – bislang handelt es sich meist um Einzelfälle, statt um fest etablierte Strukturen innerhalb von Unternehmen.
Was Unternehmen tun können:
positive kommunikative Rahmung und Vorbilder schaffen
Vergütungsstrukturen anpassen
flexiblere Wechselmöglichkeiten zwischen Fach-, Führungs- und Projektebenen etablieren
HR und Führungskräfte sensibilisieren und schulen
Kultur schaffen, die nicht-lineare Modelle als legitime Entwicklungspfade anerkennt
Was Individuen tun können:
eigene Bedürfnisse klar kommunizieren
nicht-lineare Schritte als bewusste Karriereentscheidungen verstehen
Wissen und Kompetenzen in mentorierenden oder fachlichen Rollen einbringen
Obwohl ich das Modell der Bogenkarriere sehr spannend finde und seine zunehmende Bedeutung in der Arbeitswelt befürworte, wünsche ich mir für meine eigene Laufbahn derzeit eher einen kontinuierlichen, hierarchischen Aufstieg. Mir ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und mich in einer Organisation langfristig weiterzuentwickeln. Gleichzeitig weiss ich, dass sich Perspektiven und Lebensphasen verändern können. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass sich auch meine Haltung dazu im Laufe der Zeit weiterentwickeln wird.
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