Klar zur Wende, bereit für die lang ersehnte berufliche Veränderung – manchem kann es jetzt gar nicht mehr schnell genug gehen. Und doch gilt es, so mahnt die Vernunft, langfristige Interessen über spontane Impulse zu stellen. Sich also eher auf einen Marathon einzustellen statt auf einen Sprint. Das braucht Ausdauer und Selbstkontrolle. Geduld eben. Woher nehmen, wie übt man sich darin? Und braucht es nicht auch ein gutes Mass an Ungeduld, um überhaupt durchzustarten?
Abwarten ist nicht jedermanns Sache. Den meisten von uns sind sogar schon ein paar Minuten zu viel, wenn wir an der Kasse anstehen oder der PC mal wieder streikt. Ja, Geduld ist eine rare Eigenschaft, ähnlich flüchtig wie das Glück. Aber tatsächlich macht sie das Leben um vieles leichter. Einfach beschreiben lässt sie sich nicht. Unwillkürlich kommt man stets auf ihr Gegenteil, die Ungeduld, zu sprechen. Und die liegt der menschlichen Natur nun mal näher. Es mag darin begründet sein, dass uns die Gegenwart verlockender erscheint als die Zukunft. Weshalb sich viele beispielsweise ihre spontanen materiellen Wünsche lieber sofort erfüllen als Geld für die Altersvorsorge zurückzulegen. In dieser Hinsicht – wenn man also die langfristigen Konsequenzen seiner Handlungen aus dem Blick verliert – führt Ungeduld zu nichts Gutem. Geduld hingegen, so heisst es, zahle sich aus. Sie gilt unbestritten als Tugend, muss von Kindesbeinen an mühsam erlernt werden. Aber bringt sie uns wirklich voran?
Ein Beispiel: Ich sitze in einer äusserst zähen Vertragsverhandlung. Auf dem Stuhl hin- und herrutschen, nervöses Fingertrommeln oder Fussklopfen – untrügliche nonverbale Signale meiner inneren Ungeduld –, das kann ich mir noch gerade so verkneifen. Aber in mir tobt ein Gewitter. Die belanglosen Ausführungen des Geschäftspartners wollen kein Ende nehmen, wann kommt er endlich auf den Punkt? Jetzt heisst es, Ruhe bewahren. Sich sammeln, statt den Gegenüber unbeherrscht zu unterbrechen und durch den eventuellen Mangel an Höflichkeit wichtige Sympathiepunkte zu verschenken. Paradoxerweise lässt sich in dieser Situation durch Abwarten sogar Zeit gewinnen: In einem Zustand der Besonnenheit finden sich eher die rechten Worte sowie der passende Moment, um das Gespräch erfolgreich und nachhaltig in die gewünschte Bahn zu lenken.
Was bedeutet Geduld nun eigentlich? Genau wie im germanischen Urbegriff «gathuldis» steckt im lateinischen «patienta» (englisch / französisch «patience») wie auch im deutschen «Patienten» wortwörtlich die reinste Quälerei: Erdulden, Ertragen oder Erleiden lauten die gängigen Übersetzungen. Nichts Angenehmes also, zumal sich Geduld durch eine passive Haltung auszeichnet. Die will nun so gar nicht in das Wertesystem unserer hochaktiven Leistungsgesellschaft passen und provoziert deshalb zunächst Abwehr. Überwindet man diesen ersten inneren Abwehrimpuls, stösst man jedoch auf äusserst produktive Qualitäten. Geduld ist eine erfolgswirksame Rezeptur aus Willenskraft, Ausdauer, Selbstkontrolle und Frustrationstoleranz. Sie verleiht emotionale Stabilität und das Vermögen, besser mit Rückschlägen umzugehen.
Nicht umsonst heisst es, man müsse sich in Geduld «üben»; sie lässt sich sehr wohl trainieren. Wohlgemerkt: Das heisst nicht, sich (und schon gar nicht andere) zur Gelassenheit zu ermahnen. Der «Bleib doch mal locker!»-Ansatz ist, wie man etwa im klassischen Ehestreit gut beobachten kann, eher kontraproduktiv. Besser ist beraten, wer die eigene Ungeduld zwar zunächst zulässt, aber immer wieder bewusst wahrnimmt und sie in kleinen Schritten zu zügeln, also zu kontrollieren beginnt. Lohn der Mühen ist letztlich die Fähigkeit, Situationen souverän auszuhalten, die zwar unmittelbar freudlos erscheinen, aber wichtig sind, um gesteckte Ziele zu erreichen.
Diese Disziplin mag schwer fallen in einer Zeit der Sofortkultur, in der alles Erdenkliche scheinbar ohne grössere Anstrengung zu haben ist. Ein Mausklick, und der neue Fernseher wird am nächsten Tag geliefert. Oder die Pizza in weniger als einer Stunde. Doch wer je versucht hat, eine Fremdsprache zu lernen oder ein Musikinstrument zu spielen, weiss: Langfristige Ziele erfordern Geduld und Beharrlichkeit. Erst durch absichtliche Entschleunigung wird echtes Verstehen möglich. Umso nachhaltiger sind am Ende die errungenen Erfolge. Das gilt auch für die berufliche (Neu-) Orientierung. Oder für den Finanzmarkt. Der Investment-Guru Warren Buffet etwa hat seine Mitarbeiter auf die sogenannte Low-Frequence-Strategie eingeschworen. Nicht das hektische Tagesgeschäft zählt, sondern die Kunst des klugen Abwartens. An der Börse punkten auf Dauer immer wieder diejenigen, die Durchhaltevermögen und langen Atem beweisen.
Und jetzt die gute Nachricht für die Rastlosen unter uns: Ungeduld ist nicht nur menschlich, sondern gleichermassen notwendig, um etwas voranzubringen. Da darf es dann auch mal ganz fix gehen. Bestenfalls sage ich mir: «Ja, ich höre ab sofort mit dem Rauchen auf. Ich warte nicht den passenden Moment ab, sondern fange jetzt gleich damit an.» In der Regel motiviert uns Ungeduld zu positiven Veränderungen, etwa eben den längst fälligen Jobwechsel, einen Umzug oder die Realisierung eines langgehegten Traums. Auch hierbei gilt es, nichts zu überstürzen und das rechte Timing zu finden. Und um die Früchte solcher grossen Entscheidungen zu ernten, braucht es dann wiederum reichlich Ausdauer!