«Eine Challenge anzunehmen, ist die beste Medizin»

Da Andrea Keller, 15. gennaio 2024

Franz Huber, seines Zeichens Glückspilz und Unternehmer (71), schaut und denkt nach vorne. Zusammen mit seiner Frau hat er vor einigen Jahren eine Taschen-Manufaktur eröffnet, welche älteren Flüchtlingen eine Ausbildung bietet. Neben Erfolgen und positiven Reaktionen, gibt's auch Rückschläge zu verkraften. Natürlich! Ein Spaziergang ist sowas nicht. Doch Huber mag Herausforderungen. Sie halten ihn fit. Ein Interview.

Franz Huber, Sie sind Mitbegründer der Urner Manufaktur «KoKoTé». Was bedeutet dieser Name?

«KoKoTé» ist Suaheli, also ein Begriff aus einer afrikanischen Bantusprache. Es bedeutet «Wohin»? Wir stellen uns und anderen oft die Frage: Woher kommst du? – Dabei wäre es spannender, sich nach dem Wohin zu erkundigen: Wohin willst du? Eine Frage, die wir uns auch selbst, täglich und immer eindringlicher stellen sollten! Wobei sich das «Wohin» nicht mehr nur um persönliche Ziele drehen darf, sondern auch um einen sorgfältigen Umgang mit Ressourcen und die Zukunft unserer Welt.

Erzählen Sie uns von den Anfängen der KoKoTé-Idee. Wann, warum und mit wem haben Sie entschieden, das Integrationsprojekt ins Leben zu rufen?

Alles begann im Jahr 2015. Angesichts der prekären Flüchtlingssituation in Europa und auch aus der Überlegung heraus, dass es kein Verdienst, sondern ein Glück ist, hier in der Schweiz leben zu dürfen, haben meine Frau und ich entschieden, nicht einfach zu lamentieren, sondern zu handeln. Die Integration von Flüchtlingen – vor allem Frauen – war für uns naheliegend.

Hatten Sie beide auch Zweifel? Gab es schlaflose Nächte, in denen Sie Angst bekommen haben vor dem Mut, diesen neuen Weg zu gehen?

Zweifeln im Sinn von «sich laufend hinterfragen» gehört zu unserer Lebenseinstellung. Schlaflose Nächte bereitet mir im Moment die Auftragslage. Es wäre hilfreich, wenn Schweizer Unternehmen bereit wären, für ein in der Schweiz gefertigtes ökologisches Produkt mehr zu bezahlen als für die asiatischen Produkte. Mit anderen Worten: Ich wünschte mir, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine Worthülse, sondern ein echtes Anliegen wäre. Leider machen wir im Moment die Erfahrung, dass die Kosten noch immer stärker gewichtet werden als die Nachhaltigkeit.

Umso wichtiger sind positive Rückmeldungen und Erfahrungen: Was war die schönste Reaktion, die Sie aus Ihrem Umfeld erhalten haben?

Ein Busfahrer der Auto AG Uri war OK-Chef des «Samschitg Jass» in Unterschächen. Er liess die SRF-Werbeblachen zu Taschen verarbeiten und sagte, dass er unser Integrationsprojekt sehr sinnvoll finde. Unterschächen hat einen SVP Wähleranteil von knapp 80 %. Er hat das selbst finanziert. Dieses persönliche Engagement hat mich wirklich berührt.

Gab es auch Rückschläge?

Natürlich, das gehört dazu. Wir hatten beispielsweise mal eine Anfrage einer grossen Unternehmung aus der Uhrenbranche, für die wir nicht nur diverse Prototypen erstellt haben, sondern auch Produktionskapazität reserviert hatten. Die zuständige Marketingperson war von unserem Projekt begeistert und wir waren in einem finalen Entscheidungsprozess, als die Firmenleitung – für uns völlig überraschend – das Gespräch abbrach. Aber wichtiger sind die positiven Beispiele. Und es gibt viele erfreuliche Storys wie die von Unterschächen.

Sie sagen von sich selbst: «Ich habe viel Glück im Leben.» – Glück, was ist das, nach Ihrer Definition?

Hier in der Schweiz leben zu dürfen. Dazu kommt heute, dass ich gesund bin und meine persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen im Business für das Gemeinwohl einsetzen kann.

In einem Beitrag in der NZZ habe ich gelesen: Als junger Mensch hätten Sie gern Psychologie studiert. Aber davon wollte Ihr Vater nichts wissen. Es galt, eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren und ins Familienunternehmen einzusteigen. Wie blicken Sie heute darauf zurück?

Versöhnlicher als damals. Ich habe meinen Berufswunsch dann mit über 50 noch realisiert. In Kombination mit meinen Erfahrungen als Unternehmer ergibt das eine ganz gute Mischung!

Sie haben die Firma Ihres Vaters letztlich übernommen und jahrelang geführt. Mit welchen wertvollen Erkenntnissen?

Erfolge, aber auch Misserfolge, sind ständige Begleiter eines Unternehmers im Sinn von jemandem, «der etwas unternimmt». Dabei können Misserfolge und Krisen zu einem erweiterten Horizont und zu neuen Erkenntnissen und Möglichkeiten führen. Oder anders ausgedrückt: Das Erkennen vom «Guten» im «Schlechten» wird zu einer neuen Form künftiger Handlungen.

Sie sind ein Berufsoptimist. Wie kommt’s?

Das hat mich bereits als kleines Kind begleitet. In damals scheinbar aussichtslosen Situationen kam mir jeweils der Gedanke, dass der absolute Tiefpunkt erreicht ist und es logischerweise nur wieder aufwärts gehen muss. Meine Misserfolge waren oft dem «jugendlichen Übermut» geschuldet und haben mich gelehrt, Win-Win-Situationen anzupeilen. Lernprozesse sind zuweilen schmerzhaft. Einer meiner wichtigen Lehrer sagte jeweils, dass effektives Lernen mit (schmerzhaften) Emotionen verbunden ist.

Springen wir vom jugendlichen Übermut in einem weiten Bogen zum Wort «Ruhestand». Warum war es keine valable Option für Sie, sich zum regulären Zeitpunkt pensionieren zu lassen?

Regularien haben mich nie wirklich interessiert. Herausforderungen haben mich aber immer stark motiviert. Mein Hirn täglich zu trainieren, eine «Challenge» anzunehmen, ist die beste Medizin gegen Demenz. Immerhin habe ich mir vorgenommen, im 2024 zwei Halbtage nicht zu arbeiten und dafür mehr Spaziergänge zu machen und mit meiner Frau Yoga zu praktizieren.

Vor Ihrem Einstieg bei KoKoTé haben Sie sich zum systemischen Coach ausbilden lassen. Was würden Sie anderen Menschen im Alter von 55+ raten, die mit dem Gedanken spielen, nochmals eine Ausbildung zu machen?

Ich würde diese Personen fragen, was sie noch gerne machen würden, was sie neugierig, lebendig hält und sie fragen, was denn ein erster kleiner Schritt sein könnte, dies zu realisieren.

Auch die Flüchtlinge, die Sie beschäftigen, sind schon etwas reifer. Warum haben Sie sich dafür entschieden, mit Älteren zu arbeiten?

Weil der Staat sich vor allem auf jüngere Flüchtlinge konzentriert. Für ältere (+ 26) – vor allem Frauen – gibt es sehr wenige nachhaltige Angebote, die zu einem Berufsbildungsabschluss führen. Und ohne ein «Papier» läuft man in der Schweiz Gefahr, immer wieder in die Sozialhilfe abzurutschen.

Was haben Sie von diesen Menschen schon alles lernen dürfen?

Die Bescheidenheit beeindruckt mich und hilft mir, entsprechend wertzuschätzen, was ich oft als selbstverständlich anschaue, nämlich das Recht auf Bildung oder sich in Sicherheit zu fühlen.

Bei KoKoTé gibt es auch ehrenamtliche Mitarbeiter im Alter von über 60, die sich als Coach oder als Designer engagieren. Was verbindet diese Menschen?

Uns «Alte» verbindet die Idee, sich für etwas Sinnvolles zu engagieren und unsere Erfahrungen weiterzugeben. Wir sind zudem motiviert, am eigenen Beispiel zu zeigen, dass solch ein Projekt auch ausserhalb von Grossstädten Platz hat. Unser Designer Carsten Joergensen hat mal gesagt: «Ich bin erstaunt, dass ein solches Projekt in Uri und nicht in Zürich passiert.»

Wir sind mit dem «Wohin?» gestartet. Ich würde die Klammer hier gern schliessen und fragen, wie die Geschichte nun idealerweise für Sie und Ihre Frau sowie für KoKoTé weitergeht?

Unser Ziel ist es, dass KoKoTé die ehrenamtlichen Leistungen der Freiwilligenarbeit über den Verkauf von Produkten selbst finanzieren kann. Wenn das erreicht ist, haben wir eine Perspektive, unser Engagement langsam dem Alter anzupassen.

Vielen Dank, Franz Huber.